Dramaturgische Weihnachtshelden: Der Weihnachtsmann als Protagonist

Er gehört wahrscheinlich zu den prominentesten Protagonisten in der Mediengeschichte: Der Weihnachtsmann. Aber wer ist diese Figur; eine Schöpfung der Mythen? Eine Erfindung von Coca Cola? Oder gibt es vielleicht doch eine historische Persönlichkeit, die als Vorlage für die Figur des Weihnachtsmannes bis heute nichts an ihrer dramaturgischen Zugkraft verloren hat?

Der Weihnachtsmann als Metropolit

Wir wissen heute leider sehr wenig über den heiligen Nikolaus von Myra. Fest steht, dass es sich um eine sehr beeindruckende Persönlichkeit gehandelt haben muss, die sich durch zahlreiche Legenden und Erzählungen bis weit ins 16. Jahrhundert zu einer mythischen Figur, einem Wundertäter, entwickeln konnte. Verbreitet auf der ganzen Welt ist vor allem sein Auftreten als Wohltäter und Beschützer der Armen und Hilfsbedürftigen. Dadurch ist es auch kaum verwunderlich, dass auf den heiligen Nikolaus bis heute so viele Schutzpatronate zurückzuführen sind. So ist er nicht nur Schutzpatron der Bettler und Armen, sondern auch der Prostituierten, Schifffahrer, Notare und Rechtsanwälte, ja sogar Verbrecher und Gefangenen, um nur einige wenige zu nennen. Seit dem 15. Jahrhundert ist Nikolaus auch als Gabenbringer für die Kinder bekannt. In dieser Funktion ist die Figur besonders in dramaturgischer Hinsicht bis in die Gegenwart sehr bedeutsam geblieben.

Die Dramen um die Figur des heiligen Nikolaus

Verarbeitet und verbreitet wurden die Legenden um den heiligen Nikolaus vor allem durch die geistlichen Spiele, die Mirakelspiele, des Mittelalters. Auch wenn ich in diesem Beitrag nicht näher darauf eingehen kann, an dieser Stelle möchte ich trotzdem das großartige Stück von Jean Bodel, Das Spiel vom Heiligen Nikolaus, erwähnen. In diesem um ca. 1200 entstandenen Mirakelspiel finden wir alle dramaturgischen Elemente, religiöse und weltliche zugleich, die wir bei genauer Untersuchung auch heute noch in sehr vielen Filmen rund um den Weihnachtsmann finden könnten.

Wie der Weihnachtsmann entstand…

…ist deshalb völlig egal. Ich überlasse das der Forschung. Dramaturgisch wichtig ist, dass die Legende um den heiligen Nikolaus wegbereitend für eine Figur war, die so wandlungs- und vielseitig ist, dass sie bis heute auf der ganzen Welt nichts an ihrer Prominenz eingebüßt hat. Die Mitra und das Gewand eines Bischofs wurden zwar ersetzt durch eine rote Zipfelmütze und einen roten Mantel, aber der Rest ist an der Figur haften geblieben. Der Weihnachtsmann ist immer noch ein Wundertäter, ein Gabenbringer, der die Menschen beschenkt, weil er sie liebt. Geblieben ist jedoch auch die Legende, dass er Gerechtigkeit walten lässt und die Menschen auch bestraft. Deshalb kann die Figur auch dramaturgisch in den verschiedensten Funktionen erfolgreich auftreten.

Der Weihnachtsmann in seiner dramaturgischen Funktion

Wir kennen sie alle, die Weihnachtsmannfiguren in ihren Sinn- und Lebenskrisen. Die Geschichten um die Entstehung des Weihnachtsmannes und die kitschig-süßen Weihnachtsgeschichten, mit denen uns Hollywood jährlich neu beliefert. Dramaturgisch funktionieren sie immer, egal wie platt die Geschichten sind. Wichtig ist nur die Figur und ihre Fähigkeit Wunder zu vollbringen. Oder eben ihre Unfähigkeit, Wunder zu vollbringen. Freilich taucht die Figur zwar immer wieder als Gabenbringer für die Kinder auf, aber es bleibt trotzdem das größte Wunder, in einer Nacht alle Kinder der Welt zu beschenken. Und der Traum, dass es tatsächlich einen solchen Wundertäter geben könnte, wird natürlich auch hauptsächlich durch Kinder belebt. Aber die Faszination für Weihnachtsgeschichten mit der Figur eines Weihnachtsmannes hält oft bis ins Erwachsenenleben an.

Auch wenn der Weihnachtsmann in Wirklichkeit ein versoffener Dieb ist, so wie Billy Bob Thornton in Bad Santa, so entwickelt sich auch dieser falsche Weihnachtsmann zu einer Figur, die eine Besserung erfährt und schlussendlich tatsächlich zu einem Gabenbringer wird.

Gerade in all den Filmen mit falschen Weihnachtsmännern, also den Betrügern die als echte Weihnachtsmänner auftreten, kann sich die Figur dramaturgisch zu einem positiven Charakter entwickeln. Die Figur wird zu einem Wohltäter oder einem Beschützer und hat deshalb immer sehr breites Potential. Hollywood benötigt hierzu nur den Rückgriff auf die vielen Legenden und Mirakelspiele um den heiligen Nikolaus.

Das funktioniert natürlich auch umgekehrt, wenn der Weihnachtsmann als bestrafende Figur auftritt. Exemplarisch hierfür verweise ich auf den finnischen Film Rare Exports. Die Dramaturgie dieses Filmes funktioniert, indem der Weihnachtsmann die Kinder nicht beschenkt, sondern bestraft. Als Horrorfilm konzipiert entwickelt sich die Story schlussendlich zu einem Film, in dem das Kind über die Erwachsenenwelt triumphiert und den strafenden Weihnachtsmann besiegt. Egal ob den Filmkritikern dieser Film nun gefällt oder nicht, die dramaturgische Auflösung beinhaltet eine wichtige Prämisse, die nach wie vor Allgemeingültigkeit besitzt: Die Figur Weihnachtsmann ist ein weltweit verbreiteter Exportartikel geblieben.

 

Literaturtipps:

Bodel, Jean: Das Spiel vom heiligen Nikolaus / übers. u. eingel. von Klaus-Henning Schröder. München: Fink, 1975. (= Klassische Texte des romanischen Mittelalters; 14)

 

Medienzeichen und Zeichen der Welt: Über Zeichendeuter und andere Scharlatane

  • Beitrags-Kategorie:Kommunikation

Nicht nur Medienwissenschafter sind leidenschaftliche Zeichendeuter, sondern auch sehr viele Publikumslieblinge aus den Medien, die wir alle sehr gut kennen. Ich spreche von Figuren wie Sherlock Holmes, Columbo oder Monk, die wir bereits selbst als Zeichen(leser) identifizieren. Aber nicht alle Zeichendeuter sind großartige Detektivfiguren, viele von ihnen sind auch Scharlatane. Im letzten Beitrag habe ich bereits über solche Täuscher und ihren Wahrnehmungsbetrügereien geschrieben. Es gibt daher nicht nur die beliebten „Spurenleser“, sondern auch Betrüger, die unsere Wahrnehmungen absichtlich in die Irre leiten wollen.

Keine Zeichen ohne Wahrnehmung

Eine wichtige Voraussetzung, um Zeichen als solche erkennen zu können, ist unsere Wahrnehmung.

Als ich gestern nach Hause kam konnte ich die Haustüre nicht aufsperren, weil innerhalb der Wohnung bereits ein Schlüssel im Schloss steckte. Es handelt sich um ein Zeichen, dass bereits eine Person im Haus war, die den Schlüssel im Schloss stecken ließ. Nun muss ich dieses Zeichen jedoch eindeutig mit meiner Vermutung verknüpfen, um es richtig interpretieren zu können. In diesem Fall muss mein Wahrnehmungsapparat genau unterscheiden können, ob der Schlüssel tatsächlich für die Anwesenheit einer berechtigten Person steht oder ob sich vielleicht eine fremde Person in meiner Wohnung befindet.  Da nur eine Person einen weiteren Schlüssel zur Wohnung besitzt und sich ein Einbrecher vermutlich anderer Mittel bedingt, um in ein Haus einzudringen, kann ich den steckenden Schlüssel als eindeutiges Zeichen für die Anwesenheit der mir bekannten Person identifizieren.

Ein Zeichen muss also immer eindeutig als Zeichen interpretierbar sein und für etwas anderes stehen, um als Zeichen zu gelten.

Zeichen als Repräsentanten

Wenn wir zum Beispiel Rauch sehen, handelt es sich um das Zeichen für Feuer, das in der Nähe brennen muss. Wenn wir jemanden in einer Menschenmenge laut unseren Namen rufen hören, werden wir offensichtlich gesucht. Auch unser Name ist ein Zeichen, ein Repräsentant, der für unsere Persönlichkeit steht. In der Mediendramaturgie spielt die Funktion eines Repräsentanten eine sehr gewichtige Rolle. Sehr viele Figuren qualifizieren wir nicht nur anhand ihrer Namen, sondern gerade auch anhand ihres äußeren Erscheinungsbildes und den Zeichen, die sie tragen.

Zeichen und Zeichendeuter

Genau betrachtet sind wir selbst Zeichen und Zeichendeuter zugleich. Wir identifizieren, interpretieren und inszenieren uns selber durch Namen und sind gleichzeitig fähig, durch unsere Wahrnehmung die Dinge in unserer Umwelt zu erkennen und zu deuten. Eine wirklich spannende Sache, wenn wir darüber nachdenken und eine von vielen Erklärungen dafür, weshalb uns auch in den Medien Figuren umso mehr faszinieren, wenn sie Zeichen und Zeichenleser sind.

Nervende Zeichen

Als klassisches Beispiel für eine solche Figur erkenne ich „Columbo“ aus der gleichnamigen Serie. Die Serie läuft bereits viele Jahre nach ihrer Einstellung in Dauerschleife auf den verschiedensten Fernsehkanälen. Ein Zeichen dafür, dass diese Figur nach wie vor sehr große Popularität genießt. Warum? Ganz einfach deshalb, weil die Figur Columbo ein weltberühmtes Zeichen und zugleich ein weltberühmter Zeichendeuter ist. Und das, obwohl wir nahezu nichts über das private Leben dieser Figur wissen. Ich finde das höchst erstaunlich, weil uns doch die „Dramaturgielehre“ ständig zu einem komplexen Figurenbau und ausführlichen Konstruktionen der Figurenbeschaffenheit drängt.

Von Columbo kennen wir nicht einmal den vollständigen Namen. Nicht einmal seinem Hund gibt er einen Namen. Wir haben noch nie seine Frau gesehen, von der er ständig spricht und wir haben ihn nie zuhause hinter seinen eigenen vier Wänden erlebt. Von all dem wissen wir nichts und trotzdem genügen nur wenige Objekte, um die Figur als Zeichen zu interpretieren. Da wäre einmal die Zigarre, auf der er ständig herumkaut. Manchmal raucht er die Zigarre auch und nervt damit viele passionierte Nichtraucher. Er trägt sogar bei unerträglichster Hitze seinen verknitterten Mantel, unter dem er einen billigen Anzug verbirgt. Oft erscheint er unrasiert am Tatort und spielt pausenlos den verdatterten Ermittler. Columbo tritt für die anderen Figuren somit auch als Täuscher auf, weil sein Erscheinungsbild mehr einem Penner als einem Polizeiinspektor gleicht.

Wir Zuseher wissen es natürlich seit der ersten Folge besser. Wir haben gelernt, die Zeichen als solche zu identifizieren und wir wissen auch, dass Columbo nicht der Trottel ist, den er seiner fiktionalen Umwelt ständig vorgaukelt. Er untersucht und notiert selbst die kleinsten Kleinigkeiten, verabschiedet sich bei den Verdächtigen mindestens dreimal, um diese dann nochmals mit einer seiner Fragen zu nerven. Die Antagonisten erkennen meist nur einen schrulligen Inspektor, der keinesfalls einen genial durchdachten Mordplan erkennen kann. Wir Zuseher kennen jedoch die Täuschungsmanöver von Columbo und seine Kombinationsfähigkeit, um Spuren erkennen und lesen zu können. Deshalb spielt es dramaturgisch in dieser Serie auch gar keine Rolle, wenn wir die jeweiligen Mörder bereits im Vorfeld kennen und ihre Tat sogar planen und durchführen sehen.

Die Faszination in der Dramaturgie von Columbo liegt schlichtweg in der Suche und Deutung von Zeichen eines „Täuschers“, der damit die Täter schlussendlich überführt.

Wir alle sind Zeichen und Zeichendeuter

Die Fähigkeit Zeichen zu erkennen und zu deuten liegt zusammengefasst in der Wahrnehmung und Täuschung unserer Sinne. Dramaturgisch ist diese Erkenntnis speziell in der fiktionalen Welt und für die Konstruktion dynamischer und spannender Figuren von höchster Bedeutung. Jedoch habe ich weiter oben festgestellt, dass auch wir selbst Zeichen und Zeichenleser sind und deshalb auch Täter und Opfer von Wahrnehmungen und Täuschungen sein können.

Medien benutzen dieses Dilemma sehr oft auch zugunsten ihrer Berichterstattung. Damit begleitet sind aber nicht zu unterschätzende Gefahren, die ich in einer anderen Beitragsserie vertiefen werde.

 

 

Medienzeichen und Zeichen der Welt: Über getäuschte Wahrnehmungen

  • Beitrags-Kategorie:Kommunikation

Wir leben heute in einer Welt voller Zeichen und Konventionen. Wir haben Übereinkommen darüber getroffen, wie wir unser Zusammenleben organisieren. Wir kommunizieren sozusagen durch die Zeichen, denen wir eine Bedeutung zuschreiben.

Zeichen als internationale Kommunikationsmittel

Wenn eine Ampel rot leuchtet, dann werden wir in den meisten Fällen vor einer Straßenkreuzung stehen bleiben. Selbst ein Mensch, der an Farbenblindheit leidet, wird es nicht wagen die Kreuzung zu überqueren. Er weiß nämlich, dass ROT sich an oberster Stelle einer Ampel befindet und er muss deshalb nur das Leuchten der Lampen erkennen, um die Bedeutung zu erkennen. In den meisten Ländern dieser Welt finden wir Ampeln mit folgender Anordnung: ROT oben, GELB (leuchtend) in der Mitte, GRÜN unten. Die Übereinkunft über diese Anordnung stellt die erste Bedingung dar, um die Zeichen einer Ampel lesen zu können. Die zweite Konvention besteht in der Bedeutungszuschreibung der Farben. Rot ist eine alarmierende Farbe, die uns sagt: „Halt, hier musst du stehen bleiben.“ Das gelb (blinkende) Licht interpretieren wir als Warnung: „Achtung, hier wird sich der Verkehrszustand in wenigen Augenblicken verändern.“ Das grüne Licht deuten wir als: „Jetzt kannst du gefahrlos weiterfahren.“  

Keine Zeichen ohne Bedeutung

Wenn wir als Gesellschaft mit Zeichen kommunizieren wollen, müssen wir uns bezüglich ihrer Bedeutung einigen. Wenn sich zum Beispiel ein Land dazu entschließt, die Anordnung der Ampellichter kurzerhand zu verändern, könnte ein farbenblinder Mensch in arge Turbulenzen geraten. Wenn dann zusätzlich auch noch die Bedeutung der Farben verändert wird, hätten alle Verkehrsteilnehmer ein großes Proble, den Straßenverkehr unfallfrei zu bewältigen. Dann würden wir uns plötzlich in einer Umwelt befinden, in der uns die Bedeutung der Zeichen fremd ist. Zeichen müssen Bedeutungszuschreibung haben und damit von einer großen Allgemeinheit angenommen werden, damit wir durch sie kommunizieren können. 

Zeichen als Täuscher

Wenn wir die Bedeutung der Zeichen verdrehen, gibt es zwei mögliche Konsequenzen. Entweder wir befinden uns im Chaos, so wie im Ampelbeispiel oder die Zeichen werden zu Täuschern unserer Wahrnehmung. Wenn wir einen Menschen mit teurer Markenkleidung sehen, glauben wir, dass es sich um einen sehr wohlhabenden Menschen handeln muss. Vielleicht ein erfolgreicher Geschäftsmann? Es könnte sich in Wirklichkeit aber auch um einen Menschen handeln, der mit seiner hochwertigen Kleidung nur einen wohlhabenden Menschen vortäuscht. Umgekehrt werden wir bei einem nackt durch die Gegend laufenden Menschen wohl eher einen Exhibitionisten, als einen sehr wohlhabenden Menschen vermuten. Trotzdem kann immer beides der Fall sein, weil Zeichen als „Täuscher“ auftauchen können und damit auch unser Wahrnehmungsverhalten steuern.

Schein und Sein in unseren Medien

Die fiktive Parallele zum Schein und Sein von Zeichen innerhalb unserer Medien finden wir im weltberühmten Märchen, Des Kaisers neue Kleider, von Hans Christian Andersen.

Die Hofbeamten wagen es nicht, dem Kaiser die Wahrheit zu erzählen und dass sie die neuen Kleider der beiden Webmeister gar nicht sehen können. Denn alle Zeichen deuten darauf hin, dass die Schneider Experten in Sachen Mode sind und als Genies in ihrer Branche gelten. Die Hofbeamten glauben nicht an eine Täuschung der schlauen Betrüger, sondern sie zweifeln an ihrem eigenen Wahrnehmungsvermögen. Deshalb vertraut auch der Kaiser selbst in weiterer Folge nicht mehr seiner eigenen Wahrnehmung.

Erinnert uns das nicht auch ein wenig an das Asch-Experiment, über welches ich im letzten Beitrag geschrieben habe? Selbst der Kaiser fürchtete um seinen Geisteszustand und schwieg deshalb bis zur öffentlichen „Entblößung“ der optischen Täuschung, die im Grunde genommen keine Täuschung war. Die Betrüger haben die Wahrnehmungen des Kaisers und des Volks erfolgreich manipuliert, weil sie sich der notwendigen Zeichen bedienten um Zweifel über die eigene und zuverlässige Wahrnehmung herzustellen. Kurz: Wenn eine Majorität erst einmal konform in ihrer Wahrnehmung besteht, läuft die Minorität schnell in höchste Gefahr, sozial ins Abseits zu geraten oder noch schlimmer, um die eigene geistige Verfassung zu fürchten.