Nicht nur Medienwissenschafter sind leidenschaftliche Zeichendeuter, sondern auch sehr viele Publikumslieblinge aus den Medien, die wir alle sehr gut kennen. Ich spreche von Figuren wie Sherlock Holmes, Columbo oder Monk, die wir bereits selbst als Zeichen(leser) identifizieren. Aber nicht alle Zeichendeuter sind großartige Detektivfiguren, viele von ihnen sind auch Scharlatane. Im letzten Beitrag habe ich bereits über solche Täuscher und ihren Wahrnehmungsbetrügereien geschrieben. Es gibt daher nicht nur die beliebten „Spurenleser“, sondern auch Betrüger, die unsere Wahrnehmungen absichtlich in die Irre leiten wollen.
Keine Zeichen ohne Wahrnehmung
Eine wichtige Voraussetzung, um Zeichen als solche erkennen zu können, ist unsere Wahrnehmung.
Als ich gestern nach Hause kam konnte ich die Haustüre nicht aufsperren, weil innerhalb der Wohnung bereits ein Schlüssel im Schloss steckte. Es handelt sich um ein Zeichen, dass bereits eine Person im Haus war, die den Schlüssel im Schloss stecken ließ. Nun muss ich dieses Zeichen jedoch eindeutig mit meiner Vermutung verknüpfen, um es richtig interpretieren zu können. In diesem Fall muss mein Wahrnehmungsapparat genau unterscheiden können, ob der Schlüssel tatsächlich für die Anwesenheit einer berechtigten Person steht oder ob sich vielleicht eine fremde Person in meiner Wohnung befindet. Da nur eine Person einen weiteren Schlüssel zur Wohnung besitzt und sich ein Einbrecher vermutlich anderer Mittel bedingt, um in ein Haus einzudringen, kann ich den steckenden Schlüssel als eindeutiges Zeichen für die Anwesenheit der mir bekannten Person identifizieren.
Ein Zeichen muss also immer eindeutig als Zeichen interpretierbar sein und für etwas anderes stehen, um als Zeichen zu gelten.
Zeichen als Repräsentanten
Wenn wir zum Beispiel Rauch sehen, handelt es sich um das Zeichen für Feuer, das in der Nähe brennen muss. Wenn wir jemanden in einer Menschenmenge laut unseren Namen rufen hören, werden wir offensichtlich gesucht. Auch unser Name ist ein Zeichen, ein Repräsentant, der für unsere Persönlichkeit steht. In der Mediendramaturgie spielt die Funktion eines Repräsentanten eine sehr gewichtige Rolle. Sehr viele Figuren qualifizieren wir nicht nur anhand ihrer Namen, sondern gerade auch anhand ihres äußeren Erscheinungsbildes und den Zeichen, die sie tragen.
Zeichen und Zeichendeuter
Genau betrachtet sind wir selbst Zeichen und Zeichendeuter zugleich. Wir identifizieren, interpretieren und inszenieren uns selber durch Namen und sind gleichzeitig fähig, durch unsere Wahrnehmung die Dinge in unserer Umwelt zu erkennen und zu deuten. Eine wirklich spannende Sache, wenn wir darüber nachdenken und eine von vielen Erklärungen dafür, weshalb uns auch in den Medien Figuren umso mehr faszinieren, wenn sie Zeichen und Zeichenleser sind.
Nervende Zeichen
Als klassisches Beispiel für eine solche Figur erkenne ich „Columbo“ aus der gleichnamigen Serie. Die Serie läuft bereits viele Jahre nach ihrer Einstellung in Dauerschleife auf den verschiedensten Fernsehkanälen. Ein Zeichen dafür, dass diese Figur nach wie vor sehr große Popularität genießt. Warum? Ganz einfach deshalb, weil die Figur Columbo ein weltberühmtes Zeichen und zugleich ein weltberühmter Zeichendeuter ist. Und das, obwohl wir nahezu nichts über das private Leben dieser Figur wissen. Ich finde das höchst erstaunlich, weil uns doch die „Dramaturgielehre“ ständig zu einem komplexen Figurenbau und ausführlichen Konstruktionen der Figurenbeschaffenheit drängt.
Von Columbo kennen wir nicht einmal den vollständigen Namen. Nicht einmal seinem Hund gibt er einen Namen. Wir haben noch nie seine Frau gesehen, von der er ständig spricht und wir haben ihn nie zuhause hinter seinen eigenen vier Wänden erlebt. Von all dem wissen wir nichts und trotzdem genügen nur wenige Objekte, um die Figur als Zeichen zu interpretieren. Da wäre einmal die Zigarre, auf der er ständig herumkaut. Manchmal raucht er die Zigarre auch und nervt damit viele passionierte Nichtraucher. Er trägt sogar bei unerträglichster Hitze seinen verknitterten Mantel, unter dem er einen billigen Anzug verbirgt. Oft erscheint er unrasiert am Tatort und spielt pausenlos den verdatterten Ermittler. Columbo tritt für die anderen Figuren somit auch als Täuscher auf, weil sein Erscheinungsbild mehr einem Penner als einem Polizeiinspektor gleicht.
Wir Zuseher wissen es natürlich seit der ersten Folge besser. Wir haben gelernt, die Zeichen als solche zu identifizieren und wir wissen auch, dass Columbo nicht der Trottel ist, den er seiner fiktionalen Umwelt ständig vorgaukelt. Er untersucht und notiert selbst die kleinsten Kleinigkeiten, verabschiedet sich bei den Verdächtigen mindestens dreimal, um diese dann nochmals mit einer seiner Fragen zu nerven. Die Antagonisten erkennen meist nur einen schrulligen Inspektor, der keinesfalls einen genial durchdachten Mordplan erkennen kann. Wir Zuseher kennen jedoch die Täuschungsmanöver von Columbo und seine Kombinationsfähigkeit, um Spuren erkennen und lesen zu können. Deshalb spielt es dramaturgisch in dieser Serie auch gar keine Rolle, wenn wir die jeweiligen Mörder bereits im Vorfeld kennen und ihre Tat sogar planen und durchführen sehen.
Die Faszination in der Dramaturgie von Columbo liegt schlichtweg in der Suche und Deutung von Zeichen eines „Täuschers“, der damit die Täter schlussendlich überführt.
Wir alle sind Zeichen und Zeichendeuter
Die Fähigkeit Zeichen zu erkennen und zu deuten liegt zusammengefasst in der Wahrnehmung und Täuschung unserer Sinne. Dramaturgisch ist diese Erkenntnis speziell in der fiktionalen Welt und für die Konstruktion dynamischer und spannender Figuren von höchster Bedeutung. Jedoch habe ich weiter oben festgestellt, dass auch wir selbst Zeichen und Zeichenleser sind und deshalb auch Täter und Opfer von Wahrnehmungen und Täuschungen sein können.
Medien benutzen dieses Dilemma sehr oft auch zugunsten ihrer Berichterstattung. Damit begleitet sind aber nicht zu unterschätzende Gefahren, die ich in einer anderen Beitragsserie vertiefen werde.