Dramaturgische Weihnachtshelden: Erinnerungen an unsere eigene Kindheit
- Beitrag veröffentlicht:Dezember 22, 2014
- Beitrags-Kategorie:Mediendramaturgie
Weihnachtsfilme die von Kindheitserinnerungen handeln funktionieren in aller Regel sehr gut. Und warum auch nicht? Erinnern wir uns nicht auch alle sehr gerne an unser schönstes Weihnachtsfest? Erinnerung und Identifikation sind die geeigneten Zutaten, um die Handlung eines Filmes interessanter erscheinen zu lassen als sie tatsächlich ist. Der Film A Christmas Story, inszeniert von Bob Clark, verarbeitet solche Kindheitserinnerungen, die unseren eigenen gar nicht so fremd sind.
Über das schönste Weihnachtsgeschenk
Erinnern Sie sich noch an Ihr schönstes Weihnachtsgeschenk, das Sie als Kind bekommen haben? Ich zum Beispiel erinnere mich heute noch sehr gerne an mein schönstes Weihnachtsgeschenk, eine elektrische Eisenbahnanlage, die ich als Kind bekommen habe. Ralphie Parker, der Protagonist in A Christmas Story, wünscht sich nichts sehnlicher als ein „Red Rider Luftdruckgewehr“ zu Weihnachten. Das dramaturgische Ziel des kleinen Protagonisten steuert bereits während der ersten Filmminuten auf diesen Wunsch zu. Ralphie ist zwar ein Kind, aber er weiß, dass er seine Mutter überzeugen muss, um das Gewehr vom Weihnachtsmann zu erhalten. Und darin besteht das Problem, der Konflikt, den die Figur überwinden muss.
„Du schießt dir ein Auge aus“…
…hört Ralphie nicht nur seine Mutter sagen, als er ihr von seinem Weihnachtswunsch das erste Mal erzählt. Als Kind stößt er mit seinem Wunsch in der Erwachsenenwelt auf heftigen Widerstand. Bemerkenswert sind nicht die Mittel mit denen das Kind versucht das dramaturgische Ziel zu erreichen, sondern die Ehrlichkeit mit der in diesem Film über die Ängste und Probleme eines Kindes erzählt wird. A Christmas Story spielt während der 40er Jahre in einer Zeit, in der es noch kein Fernsehen gab und Radio das Leitmedium war. Und eine Radiosendung wird auch zur ersten großen Enttäuschung für den Protagonisten, der ständig gegen die Erwachsenenwelt ankämpfen muss, um seinem Weihnachtswunsch näher zu kommen. Da wäre einmal der ständig nörgelnde Vater, der gegen einen desolaten Heizkessel ankämpft und bei jeder Gelegenheit leidenschaftlich gerne flucht, selbst jedoch keine Schimpfworte aus dem Munde seiner Kinder akzeptiert. Er ist die Respektperson im Haus, die jedoch beinahe nichts ohne Zustimmung der Mutter unternimmt. Und die Mutter wiederum managt den ganzen Haushalt und sie ist es auch die zuerst überzeugt werden muss, wenn es um die Weihnachtswünsche geht. Ralphie konzentriert deshalb all seine Überzeugungsarbeit zuerst auf die Mutter und in weiterer Folge auf die restliche Erwachsenenwelt, um seinem Ziel näher zu kommen. Er denkt gar nicht daran, seinem strengen Vater von seinem Wunsch zu erzählen. Der Film funktioniert auch deshalb so gut, weil er uns sehr oft an unsere eigene Denkweise als Kind erinnert. Haben nicht auch wir gewusst, dass es in der Welt der Kinder verpönt zu petzen, wenn die Erwachsenen genau das von uns verlangten? Haben nicht auch wir uns nach heftigem Streit mit unseren Eltern eine schwere Krankheit gewünscht, damit die Eltern sich schuldig fühlen und ihre Bestrafungen zutiefst bereuen? Die Dramaturgie des Filmes arbeitet sehr intensiv mit der Denkweise und den Träumen von Kindern, die oft auch tröstende Funktion haben.
Ich bin mir sicher, dass sich die meisten von uns an solche Träumereien erinnern können. Und auch der Alltag eines Kindes kann ganz schön hart sein, zumindest erfordert er konditionelle Fitness, wenn der Raufbold der Schule ständig Jagd auf einen macht. Ralphie wird also mit allerlei Problemen konfrontiert und all seine Versuche, die Erwachsenen für seinen größten Wunsch zu gewinnen, scheitern. Die Lehrerin, ja sogar der Weihnachtsmann selber raten ihm vom Luftdruckgewehr ab. Sie alle sagen ihm dasselbe: „Du wirst dir nur ein Auge ausschießen.“
Die Erwachsenen verstehen nichts von den Wünschen, noch viel weniger von den Sorgen eines Kindes. Darin besteht das große Potential, der Konfliktstoff der Dramaturgie. Mit der Sorgfalt eines kritischen Beobachters verarbeitet Bob Clark die verschiedenen Sichtweisen von Erwachsenen und Kindern und lässt das erwachsen gewordene Kind mit Schmunzeln über die vergangenen Erlebnisse erzählen. Es sind keine großartigen oder weltverändernden Konflikte, aber sie schöpfen auf der Erzählebene aus tiefster Ehrlichkeit und deshalb konnte dieser Film so erfolgreich werden. Die Dramaturgie einer so schönen Kindheitserinnerung wie in A Christmas Story benötigt deshalb auch eine ehrliche Auflösung.
Und Vater ist doch der Weihnachtsmann
All die Anstrengungen von Ralphie scheinen schlussendlich vergebens zu sein. Das Fest wird zur Enttäuschung und das Geschenk der Tante wird zur Demütigung für den Protagonisten. Und dann plötzlich, als die ganze Bescherung endlich vorbei zu sein scheint, entpuppt sich plötzlich der Vater als guter Weihnachtsgeist. Der Vater ermuntert seinen Sohn in der Ecke hinter dem Weihnachtsbaum nachzusehen, in der sich noch ein letztes Paket befindet. Das Kind schnappt sich das längliche Paket, reißt hastig das glitzernde Geschenkpapier ab und dann hält Ralphie es in seinen Händen: Das „Red Rider Luftdruckgewehr“, das er sich so sehr gewünscht hat. Nie hätte es der kleine Protagonist gewagt, seinem Vater von dem Wunsch zu erzählen und ausgerechnet der Vater beschert ihm nun sein schönstes Weihnachtsfest. Die Erinnerung an die eigene Kindheit und das eigene Luftdruckgewehr hat die Vaterfigur in die Träume des Kindes einfühlen lassen. Gibt es eine schönere und zugleich glaubwürdigere Auflösung für einen solchen Weihnachtsfilm?
Neben den „Bekehrungs- und Erinnerungsmodellen“ in der Dramaturgie von erfolgreichen Weihnachtsfilmen spielen Erkennung und Identifikation eine wichtige Rolle. Als wichtiges Element fehlt jetzt noch die Einsicht in der Erfolgsdramaturgie von Weihnachtsgeschichten. Über das „Einsichtsmodell“ erzähle ich im letzten Beitrag dieser Weihnachtsserie.