Diese Woche fand in den USA wie jedes Jahr am 02. Februar der „Murmeltiertag“ statt. Mit rund 6.000 Einwohnern ist der Ort mit dem beinahe unaussprechlichen Namen Punxsutawney in Pennsylvania heute weltweit bekannt. Nicht unbedingt wegen dem Brauch, alljährlich ein Murmeltier als Wetterpropheten zu verehren, sondern vor allem wegen einem Hollywoodfilm.
Wir finden heute kaum einen Beitrag über das Murmeltier Phil, ohne das gleichzeitig auch der Film Groundhog Day (DE: Und täglich grüßt das Murmeltier) in Zusammenhang mit der Popularität des alljährlich stattfindenden Ereignisses gebracht wird. Es gibt zwar viele Hollywoodfilme die ein reales Ereignis in ihre fiktive Dramaturgie einbauen, aber nur selten konnte ein Ereignis zu solch internationaler Bekanntheit führen und zu einer weltweit populären Marke für eine Kleinstadt werden.
Ein Gefangener der Zeit
Bill Murray, der Protagonist, verkörpert die Figur Phil, einen unausstehlichen und selbstverliebten Wettermoderator, der damit konfrontiert wird, ständig denselben Tag erleben zu müssen. Die Dramaturgie des Filmes verarbeitet also folgende Frage: „Was wäre, wenn wir täglich zur selben Zeit im selben Tag gefangen wären?“ Wie würden wir damit umgehen? Würden wir die Situation für unsere Zwecke ausnutzen? Würden wir durchdrehen? Würden wir verzweifeln und uns schließlich den Tod wünschen? Vermutlich könnten alle Überlegungen zutreffen und nicht zufällig finden wir diese Gedanken auch in den Handlungen des Protagonisten wieder. Der Wettermoderator Phil entwickelt sich durch seine „Gefangenschaft“ von einem rücksichtslosen Egoisten zu einer werteschätzenden und hilfsbereiten Figur. Dass diese Entwicklung mit viel Witz verbunden ist, wird freilich durch die Situation selbst bedingt.
Die dramaturgische Entwicklung einer Figur durch Wiederholung und Entscheidung
Phil mag keine Menschen. Zu Rita sagt er, dass Menschen Idioten sind und diese Einstellung untermauert er mit seiner Haltung gegenüber den Menschen von Punxsutawney. Was wir von dieser Figur während der ersten 15 Minuten erfahren genügt, um alle folgenden Handlungen des Protagonisten zu glauben. Phil kann durch die ständigen Wiederholungen des Tages auch seine getroffenen Entscheidungen immer wieder revidieren und sich durch die gewonnenen Erkenntnisse weiterentwickeln. Darin liegt die dramaturgische Zugkraft des Filmes.
Der erste wiederholte Tag stößt noch auf die Verwirrung des Protagonisten. Er glaubt lediglich an ein ziemlich intensives Déjà-vu. Am nächsten Tag jedoch erkennt Phil, dass er ein ziemlich ernsthaftes Problem hat. Ein Schneesturm verhindert seine Abreise und Ärzte können ihm auch nicht helfen. Nicht einmal ein Psychologe begreift Phils Dilemma. Also was tun? Der Protagonist beginnt mit seiner Situation zu experimentieren. Er erkennt, dass alle seine Handlungen keine Konsequenzen am folgenden Tag mit sich ziehen und deshalb nützt er diese Erkenntnis, ganz seinem Charakter entsprechend, zuerst schamlos aus. Er rast mit einem Auto durch die Gegend, stiehlt Geld und schlägt den lästigen Versicherungsmakler. Das alles und noch viel mehr tut die Figur ohne irgendwelche Konsequenzen zu befürchten. Worin besteht nun das Ziel der Figur in einer solchen Situation? Das Erleben des 3. Februars? Das ganz bestimmt aber relativ früh erfahren wir auch, dass Phil sich in Rita verliebt. Rita ist das Gegenteil von Phil. Sie ist rücksichtsvoll und schätzt ihre Mitmenschen. Sie verkörpert im Grunde genommen alle Eigenschaften, die Phil so sehr verachtet. Phil beginnt deshalb die Macht der Wiederholung auszunützen, um Ritas Herz zu erobern.
Er erkennt wie einfach er Frauen mit dem Nutzen seines Dilemmas verführen kann und er versucht seine Verführungskünste schließlich auch an Rita, indem er sie jeden Tag etwas besser kennenlernt, um sie mit seinem wachsenden Wissen zu beeindrucken. Aber sein Plan scheitert. Nach mehreren hartnäckigen Versuchen muss Phil schließlich erkennen, dass er Ritas Herz nicht an einem einzigen Tag erobern kann. Als Resultat folgt Verzweiflung. Phil ist einsam und er bleibt auch ein einsamer Gefangener in seiner Zeit. Schließlich verliert er seinen Lebensmut und er versucht sich einige Male das Leben zu nehmen. Trotzdem wacht er jeden Morgen wieder am 02. Februar im Bett seiner Pension auf. Die Situation des Protagonisten gipfelt in Hoffnungslosigkeit.
Vertrauen als Schlüssel zur Gefängnistür
Welche Möglichkeiten bleiben also, wenn alle Tricks scheitern und nicht einmal der Freitod möglich ist, um sich der Gefangenschaft eines sich ständig wiederholenden Tages zu entziehen? Phil erkennt, dass er die Menschen von Punxsutawney und Rita mittlerweile so gut kennt, dass er damit auch die Möglichkeit besitzt, Rita seine hoffnungslose Situation zu beweisen. Rita glaubt Phil schließlich, aber trotzdem wacht er auch am nächsten Tag wieder am 2. Februar auf. Diesmal jedoch mit der Erkenntnis, dass Rita seine Geschichte glaubt und ihm vertraut. Durch ihr Vertrauen beginnt der Protagonist seine Haltung zu verändern. Weshalb die Zeit nicht für die schönen Dinge des Lebens nützen? Er lernt Klavier spielen, Eisskulpturen schnitzen und er beginnt ein Leben als hilfsbereiter Bürger der Kleinstadt. Er hat sich mit seiner Gefangenschaft abgefunden und versucht nun sein Leben dementsprechend positiv zu erfüllen. Erst als Phil sein Leben ändert und sich Rita deshalb in ihn verliebt, kann der Protagonist aus seinem Gefängnis ausbrechen.
Dramaturgie als PR für eine Kleinstadt
Die Idee, dass eine Figur ständig am selben Tag und in derselben Ortschaft erwacht, ständig auf dieselben Menschen trifft und alle ihre Handlungen daran gebunden sind, machten es natürlich auch notwendig, Bilder von Punxsutawney und dem Murmeltiertag ständig zu wiederholen. (Auch wenn der Film nicht in Punxsutawney gedreht wurde.) Phil das Murmeltier wurde durch Phil dem Wettermoderator zu einem weltweiten Hit. Wiederholung ist auch ein sehr wirksames Mittel, um erfolgswirksame Öffentlichkeitsarbeit leisten zu können. In der Dramaturgie eines Filmes kann Wiederholung nicht nur für Witz in der Handlung sorgen und damit die Entwicklung einer Figur wie Phil vorantreiben. Filmdramaturgische Wiederholungen können auch unerwartete Nebenwirkungen erzeugen und diese zeigen sich beispielhaft in der weltweiten Popularität einer Kleinstadt und ihres Brauchtums, ein Murmeltier als Wetterpropheten zu verehren.