DramaTec: Techniken des Storytellings lernen

DramaTec: Techniken des Storytellings lernen

Kann Storytelling gelernt werden? Ich glaube schon, schlussendlich sind die bewährten Techniken des spannenden Geschichtenerzählens tausende Jahre alt. Es besteht also auch für vermeintlich talentfreie Schriftsteller Hoffnung, die Techniken des Storytellings mit viel Übung und Mut zum Schreiben zu lernen.

Alles beginnt mit einer Idee

Ich sage es meinen Seminarteilnehmern immer wieder: Ein guter Text entsteht immer zuerst mit dem Mut, überhaupt einen Text für die Öffentlichkeit schreiben zu wollen. Unser Irrglaube an Perfektionismus und die Angst vor möglicher (negativer) Kritik blockiert allzu oft die eigene Kreativität. Und auch wenn Sie es vielleicht nicht glauben kann ich Ihnen versichern: Wenn Sie ein menschliches Wesen sind, dann sind Sie auf alle Fälle kreativ.

Der kreative Schreibprozess beginnt mit einer Idee. Eine gute Geschichte beherbergt immer eine alles beherrschende Idee, eine Botschaft, einen roter Faden, den Kitt, der eine Story von Beginn bis zum Ende trägt. Kurz: Eine spannende Geschichte beinhaltet ein interessantes Thema, das es zuerst zu entdecken gilt, bevor Sie überhaupt eine brauchbare Textzeile auf das leere Papier bringen.

Von einer Idee zum beherrschenden Thema

Üben Sie sich darin, Ihre Umwelt genauer zu beobachten. Entdecken Sie interessante Themen, die eine große Allgemeinheit kennt und teilt. Oder stellen Sie sich dafür einfach die Frage: „Mit welchen Geschichten können sich große Öffentlichkeiten besonders gut identifizieren?“ Versuchen Sie, eine anfangs breit gedachte Idee als Thema in einem einzigen Satz zu formulieren.

Nehmen wir an, wir wollen über einen bestimmten Aspekt unserer Wohlstandsgesellschaft schreiben. Unsere Wohlstandsgesellschaft als Thema ist dafür noch zu groß. Denken Sie darüber nach, wie Sie auffällige Ereignisse, Berichte, Aussagen oder Erzählungen eines bestimmten Merkmales zum Überbegriff „Wohlstandsgesellschaft“ zeigen könnten. Ich versuche es mit einer allgemein bekannten Aussage: „Die Kinder von heute sind viel verwöhnter als früher.“

Sie kennen diesen Satz bestimmt, haben ihn selbst oft gehört und er wird immer wieder gerne mit unserem Wohlstandswachstum verknüpft. Wir haben damit aber erst eine Aussage, mit der wir arbeiten können, ohne das eigentliche Thema oder die beherrschende Idee dazu gefunden zu haben. Mein Vorschlag für diese kleine Übung:

„Wohlstand lässt Zeit vergessen.“ Gefällt Ihnen nicht? Vielleicht finden Sie ein besseres Thema. Bei dieser Übung geht es lediglich darum, dass wir einen Text entwickeln, der verdeutlicht, wie sich mit der Zeit unser eigenes Verhalten mit der Entwicklung unserer Wohlstandsgesellschaft verändert hat. Und noch wichtiger, wie sie über diese Entwicklung mit einem Ausschnitt und in Form einer kurzen Story erzählen. Einverstanden?

Deskriptiv versus Storytelling

Um den Unterschied zwischen einem deskriptiven und keinesfalls schlechteren Text und Storytelling nochmals zu verdeutlichen, üben wir einfach beide Textsorten. Beginnen wir mit einem beschreibenden Text. Vergegenwärtigen Sie sich dabei immer unsere beherrschende Idee und die Prämisse, mit der wir das Thema bei unserer Leserschaft erfüllen. Erinnern Sie sich?

„Wohlstand lässt Zeit vergessen.“ Prämisse und Arbeitsmittel für unseren Text ist die Aussage: „Die Kinder von heute sind viel verwöhnter als früher.“ Denken Sie daran, dass diese Prämisse nur ein Arbeitsmittel ist. Verlieben Sie sich nicht darin. Wenn Sie nichts taugt, verwerfen Sie dieses Werkzeug und suchen ein anderes. Für unsere Übung arbeiten wir damit weiter und ich mache den Beginn:

Die ersten Nachkriegsjahre waren für den Großteil unserer Bevölkerung ein täglicher Existenzkampf. Armut und Hunger zwangen sogar viele Familien dazu, ihre Kinder in die Fremde zu schicken, um dort harte Arbeit zu verrichten. Hunger war damals etwas, das wir heute offensichtlich völlig vergessen haben. Das ist ja auch gut so. Aber ich wünschte mir manchmal, dass wir uns öfter daran erinnern, wie gut es uns heute im Vergleich zu damals geht.

Okay, jetzt versuchen wir den Inhalt dieses kurzen Textes in Form einer Geschichte zu erzählen:

Vielen Familien ging es in den ersten Nachkriegsjahren noch viel schlechter als uns. Wir hatten wenigstens nicht jeden Tag Hunger und mein Vater hat sogar etwas Geld verdient. Einmal hat er mich in die Stadt mitgenommen. Da war gerade ein kleiner Rummel, mit einem Karussell und Schaustellern. Es duftete nach frisch gerösteten Nüssen und verschiedenen Süßigkeiten. Da gab es auch diese Äpfel am Stiel, die mit einer klebrig-roten Zuckerglasur überzogen waren. Ich konnte meine Augen nicht mehr davonlassen und mein Vater kramte schließlich in seiner Hosentasche, um die begehrte Leckerei zu kaufen. Ich konnte dieses Ding natürlich kaum essen, ohne meine Hände und Gesicht mit klebriger Zuckerpampe zu verschmieren. Und vor lauter Gier nach dieser seltenen Süßigkeit leckte ich mir beinahe die Finger wund. Diese Zuckeräpfel gibt es auch heute noch. Aber heute sehe ich, wie Kinder nur einmal kurz an dieser Süßigkeit lecken, um sie dann in die nächst liegende Mülltonne zu schmeißen.

Inhaltlich beherbergen zwar beide Texte dasselbe Thema. Aber erkennen Sie den Unterschied? Storytelling spricht im Idealfall möglichst viele unserer Sinne und Gefühle an. Sie schaffen mehr Nähe und erzeugen identitätsstiftende Bilder. Üben Sie diese Techniken mit einer Idee Ihrer Wahl. Machen Sie es besser als ich es in diesem kurzen Beispiel gemacht habe und denken Sie daran, dass kein Meister vom Himmel gefallen ist. Ihre Kritiker sind meistens selbst keine Großmeister des kreativen Schreibens. Die Qualität Ihrer Texte wird mit regelmäßiger Übung und viel Output automatisch steigen. – Versprochen.

Wenn Sie die Techniken des Storytellings und des dramaturgischen Schreibens lernen möchten, erhalten Sie individuelle Aus- und Weiterbildungsangebote von DramaTec.  

Als Schaffender von Unternehmensmedien oder Marketingspezialist haben Sie auch mit der Anmeldung zu meinem Seminar Erfolgreiches Marketing mit Storytelling in Unternehmensmedien die Möglichkeit, in die Praxis des Storytellings einzutauchen.

 

Pixabay-Bild: Ramdlon

Buchpublikation: „Und Sonnenlicht erhellte den bedeutungsvollen Raum…“

Und Sonnenlicht erhellte den bedeutungsvollen Raum...

Mitten im Herbst angekommen darf ich heute meine neueste Buchpublikation mit dem Titel „Und Sonnenlicht erhellte den bedeutungsvollen Raum…“ vorstellen. Zugegeben ein sehr philosophisch anmutender Titel, der mit Sicherheit auch hält, was er verspricht. Dafür werden nicht nur Theaterinteressierte, sondern auch Kenner im Bereich Dramaturgie „mittelalterlich Neues“ entdecken…

Von der Liturgie bis zur „Auferstehung“ des (weltlichen) Theaters

Ausgerechnet die Kirche des frühen Mittelalters war mit den geistlichen Spielen im christlichen Rahmen der Liturgie Wegbereiter für die Renaissance des (weltlichen) Theaters. So kennzeichneten die Osterfeierlichkeiten nicht nur die Freude über die Auferstehung Christi. Sie waren auch geprägt von der Freude des Spiels, das freilich noch nicht als „szenisch“ gelten konnte. Aber mit den bedeutungsgeladenen Handlungen während der Liturgie entwickelten sich die ursprünglich geistlichen Spiele überraschend schnell zu einem weltlichen Theater. Eines, das aufgrund wachsender Größe später vor der Kirche und auf den Marktplätzen stattfand.

Raum und Licht als dramaturgische Elemente

Das geistliche Theater des Mittelalters ist speziell im deutschsprachigen Raum ein Theater voller Bedeutungen und Symbolik geblieben. So war auch die räumliche Anordnung der Spielenden nie zufällig. Licht wurde meist erspielt. Man konnte eine Kerze anzünden und löschen, um das Anbrechen von Tag und Nacht zu symbolisieren. Das Mittelalter war dabei durchaus nicht so trist, wie wir heute vielleicht glauben. Die Freude am Spiel und das Verständnis bedeutungsgeladener Handlungen in einem symbolischen „Setting“ konnten die Sehnsucht der Menschen nach dramaturgischem Schauspiel nicht unterdrücken.

Höllenfahrt, Auferstehung und Weltgerichtsspiele: Spektakel, von dem bis heute populärmediales Storytelling zehrt.

Lange blieben auch erweiterte Szenen in den Spielen rund um das Oster- und Weihnachtsgeschehen symbolisch. So entwickelte sich beispielsweise die Höllenfahrt und Auferstehung Christ nur sehr langsam zu einem „spektakulären“ Theater. So wurde beispielsweise die Hölle mit einem einfachen Bierfass dargestellt, wobei die Menschen des Mittelalters die Symbolik und Bedeutung dieses Fasses durchaus verstanden.

Die vor uns liegenden Texte enthalten dennoch immer wieder überraschende Hinweise zu Raum und Lichteffekten, die eine fortgeschrittene Experimentierfreudigkeit und Empfänglichkeit für Spektakel verraten. Schließlich war dieser Drang nach Illusion für die theatralen Konfrontationen zwischen Gut und Böse auch in den Weltgerichtsspielen wichtiger Wegbereiter für aufmerksamkeitserregendes Storytelling mit Populärmedien, so wie wir sie heute kennen und schätzen.  

Mittelalterliches Leseerlebnis, das belebt.

Schlussendlich sind diese Stücke, von denen wir in den meisten Fällen die Dichter leider nicht kennen, auch ein Schatz. Sie sind bis heute ein großartiges Leseerlebnis und beleben zugleich unsere inszenatorischen Sinne. Dabei bleibt genügend Spielraum für die eigenen Vorstellungen, wie so ein Stück damals tatsächlich aufgeführt wurde und wie es heute aufgeführt werden könnte.

Mit diesem kleinen Buch habe ich die wichtigsten Spiele zusammengefasst und analysiert und hoffe damit, auch Sie für Sie für das Theater zu begeistern. Außerdem werden Sie als Freunde des Theaters und als Interessierte und Kenner im Bereich Mediendramaturgie überrascht sein, wie ein ursprünglich verbanntes Theater sich neu erfinden und etablieren konnte.

Ab heute hier als Taschenbuch oder gebundenes Buch erhältlich! Sehen Sie hier auch gerne meine anderen Publikationen.

 

 

Pixabay-Bild: sspiehs3

Capernaum – Stadt der Hoffnung

Capernaum - Stadt der Hoffnung

Die jüngsten Ereignisse in Afghanistan erinnern mich daran, dass sich Geschichte wiederholt. Hoffnung auf Freiheit und ein menschenwürdiges Leben rücken erneut in weite Ferne. Dabei ist Schicksal von Geburt an bestimmt. – So lässt sich zumindest das Thema des Films „Capernaum – Stadt der Hoffnung“ feststellen…

Bereits die ersten Bilder von Regisseurin Nadine Labaki spiegeln die sozialpolitischen Probleme des Libanon. Von Hoffnung also weit und breit keine Spur. In den Elendsvierteln Beiruts lebt der zwölfjährige Zain mit seiner Familie. Der junge Protagonist sagt schon zu Beginn, dass er sein Alter nicht kennt. Fehlende Identität und die damit verbundene Wertigkeit eines Lebens ziehen sich damit wie ein roter Faden durch die gesamte Handlung. Aber beginnen wir von vorne.

Zain steht vor Gericht. Er klagt seine Eltern an, weil sie ihn geboren haben und sie kein Recht haben sollten, ein weiteres Kind zu bekommen, um das sie sich nicht kümmern. Mit aller Brutalität erzählt die Regisseurin in Rückblicken die Geschichte eines Kindes, dessen Schicksal von Geburt an vorbestimmt war und jegliche Hoffnung auf ein selbstbestimmtes Leben zum Scheitern verurteilt.

Ein Leben, das geprägt ist von Misshandlungen, Erniedrigung und dem täglich harten Überlebenskampf. Die Eltern sind damit beschäftigt, über ihre eigenen Kinder zu überleben und „verkaufen“ Zains minderjährige Schwester Sahar für eine Heirat mit dem skrupellosen Lebensmittelhändler Assad. Zain kann seine fast gleichaltrige Schwester nicht retten und flüchtet alleine. Weg von seinen Eltern und nur mit der schwach lodernden Hoffnung auf ein besseres Leben.

Auf einem Rummelplatz bleibt er hängen. Hunger, der gestillt werden muss und Arbeit, die nur schwer zu finden ist, verschlimmern seine Situation. Aber dann findet er Unterschlupf bei der äthiopischen Putzfrau Rahel. Auch sie befindet sich auf der Flucht, braucht eine Identität und benötigt deshalb Papiere, um für sich und ihren einjährigen Sohn Yonas die Hoffnung auf Leben zu wahren. Auch sie stößt von Geburt an auf ihr Schicksal, kämpft gegen Misshandlungen, Unterdrückung und den Erpressungsversuchen eines Menschenhändlers, der mit der Registrierung einer Ketchupflasche mehr Wertigkeit, als für einen Menschen ohne Identitätsnachweis empfindet.

Zain kümmert sich um den kleinen Yonas, glaubt, ein besseres Zuhause gefunden zu haben. Aber dann wird Rahel verhaftet. Wieder ist er alleine, muss für sich und den kleinen Yonas sorgen und wird schlussendlich zum Handel mit selbstgemischten Drogen gezwungen. Die „Geschäfte“ laufen zuerst gut, dann wird er von seinen Käufern geschlagen und vertrieben. Und als er eines Tages vor der verschlossenen Hütte steht, verliert er auch sein darin verstecktes Geld, das er für seine Flucht mit Yonas beiseitegelegt hat.

Sein Überlebenskampf geht von vorne los, spitzt sich wiederum zu und er muss als Höhepunkt den kleinen Yonas an den Menschenhändler verkaufen, um zu leben. Aber auch für seine Flucht benötigt er Papiere, die er nicht hat und die er auch in der Wohnung seiner Eltern nicht findet. Stattdessen erfährt er vom Tod seiner „verkauften“ Schwester, die auf den Stiegen eines Krankenhauses verblutet ist, weil auch sie keine Papiere hatte.

Ein Leben ohne Identität ist ohne Wert. Die Regisseurin schreibt den Eltern die Verantwortung für Identitätsstiftung zu, weshalb zum Schluss das allumfassende Thema des Films erfüllt wird: „Menschliches Schicksal ist von Geburt an bestimmt.“ Zain wusste das von Beginn an und sitzt deshalb im Gefängnis. Hoffnung auf ein besseres Leben gibt es nicht für alle Menschen.

Aber Zain erreicht mit dem Prozess gegen seine Eltern zumindest für einen Augenblick die Aufmerksamkeit einer großen Öffentlichkeit. Die Hoffnung auf Besserung bleibt, weshalb zum Ende der Fotograf – ohne es zu wissen – das einzige Mal ein zaghaftes Lächeln des jungen Protagonisten erfährt.

 

Bertram Holzer

Pixabay-Bild: geralt