“Nur ein Spiel” – Kurzgeschichte

Nur ein Spiel - Kurzgeschichte von Bertram Holzer

Regen klatscht auf die Windschutzscheibe und wieder sehen wir eine lange Schlange aufleuchtender Bremslichter vor uns. Es war ein durchgehend sonniges Herbstwochenende in Meran, weshalb wir jetzt die regnerische Heimfahrt, ständig unterbrochen durch stauenden Verkehr, mit Gelassenheit erdulden. Es ist der zweite Sonntag im Oktober und normalerweise wären wir jetzt schon auf der Lustenauer Kilbi, unserem jährlichen Kirchweihfest, das eigentlich ein großes Volksfest ist und nicht nur für uns Lustenauer ein Pflichttermin ist. „Heuer wird das wohl nix mehr“, denke ich in dem Moment, als ich nach kurzer Fahrt schon wieder die Bremslichtflut vor mir aufflackern sehe.

Dabei ist die „Luschnouar Kilbi“ weit mehr als ein großes Fest. Sie ist für die meisten Erwachsenen ein hoffnungsverheißender Treffpunkt, um lange vergessen geglaubte Gesichter wiederzusehen. Während ich wieder ein paar Meter durch den Regennebel auf dem Reschenpass dahinrolle, verspüre ich doch etwas Bedauern. Denn die Kilbi konnte heuer nach zwei Jahren Pandemie endlich wieder einmal stattfinden. „So ein Pech und dann auch noch dieses miese Wetter. Kommt mir fast so vor wie in einem dieser Alpträume, in denen man unter Zeitdruck steht, um ein Ziel zu erreichen und nicht vom Fleck kommt“, fällt mir ein.

Unsere Kilbi ist nicht nur ein Familienfest oder ein bekannter Begegnungsort. Sie ist mit ihren bunten Marktständen, dem Treiben um die verschiedensten Fahrgeschäfte und dem geselligen Beisammensein vor allem auch für viele Kinder ein Fest wie Weihnachten. So war das auch bei mir und tatsächlich trage ich viele Kindheitserinnerungen von der Kilbi in mir. Erinnerungen an die verschiedensten sich abwechselnden Gerüche nach Käse und Zwiebel der Käsdönnala, heißen Maroni, aufplatzenden Bratwürsten, Zuckerwatte, gebrannten Mandeln und jede Menge anderer Süßigkeiten. Wir Kinder bekamen meistens etwas mehr Taschengeld, „Kilbi-Geld“, um es dann kurzerhand für Spielzeug, Fahrgeschäfte oder Leckereien auszugeben. Das ist auch heute noch so und ich erinnere mich noch gut an jenen Sonntag, als ich mir ein beachtliches „Kilbi-Geld“ angespart habe.

Ich war damals etwa 12 Jahre alt und hatte 200 Schilling, heute etwa 14 Euro. Nicht besonders viel. Aber damals war das ein kleines Vermögen für mich und ich wollte es gut überlegt für ein besonderes Spiel ausgeben. Nicht irgendein Spiel, sondern das Spiel, das damals gerade der absolute Renner bei uns Kids war. „Das kaufmännische Talent“ oder kurz „DKT“ wollte ich schon lange selber haben, weshalb auch etwas kaufmännisches Talent nötig war, um es mir endlich kaufen zu können. Ein namhafter Spielehändler in unserem Ort hatte jedes Jahr an derselben Stelle seinen Stand auf der Kilbi und schon früh steuerte ich auf ihn zu. Manche Händler mochten es nicht gerne, wenn die Kinder zwischen ihren Waren herumfingerten. Aber dieser Spielzeughändler und die Verkäuferinnen kannten mich schon und ließen mich ihre Waren in Ruhe ansehen.

Das war aber auch eine Auswahl. Jede Menge verschiedenster Brettspiele, die natürlich genau beäugt werden mussten, obwohl ich genau wusste wonach ich suchte. Schnell habe ich das heiß ersehnte „DKT“ zwischen den Stapeln entdeckt und greife danach, um nach dem Preisetikett zu suchen. Ich erschrecke, als ich das gelbe Etikett des Händlers sehe: „188 Schilling. Wieviel ist das nochmals? Wie viele Fahrten mit dem Autoscooter gehen sich dann noch aus? Wieviel kostet nochmals eine Zuckerwatte? Ah ja, einmal auf die Schiffschaukel wollte ich ja auch noch. Das war doch nur ein Spiel und warum zum Kuckuck kostet es so viel.“ Tausend Gedanken schossen mir durch den Kopf und nervös kramte ich zwischen den zwei Hundertern in meiner Tasche. Wir Kinder schmissen unser Geld sonst meistens für günstigeres Ramschspielzeug, Plastikwaffen oder Kitsch raus. Nicht zu vergessen die begehrten Fahrten mit dem Autoscooter, die auch damals nicht billig waren. Und Naschereien wollte man sich auch noch gönnen. Aber diesmal wollte ich genau dieses Spiel, koste es was es wolle und so kaufte ich mir stolz das „DKT“. Mein restliches Geld habe ich dann doch noch mit einer Fahrt mit dem Autoscooter verputzt, weshalb ich dann auch schon etwas früher als gewöhnlich und völlig pleite von der Kilbi nach Hause ging. Diesmal ohne schlechtes Gewissen, weil ich so viel Geld für irgendeinen Blödsinn ausgegeben habe. Ich habe mir immerhin ein hochwertiges Brettspiel gekauft und als 12-jähriger geglaubt, ich würde ewig damit spielen.

Am nächsten Tag in der Schule hat uns ein Lehrer – wie alle Jahre wieder – nach unserem Tag auf der Kilbi gefragt. Nicht danach, was wir denn erlebt hätten. Er wollte von uns wissen, wieviel Geld wir ausgegeben haben. Es war genau die richtige Frage, um ein Kind vor versammelter Klasse zu diskreditieren. Logisch, dass er auch noch wissen wollte wofür wir unser Geld ausgaben. Nicht, dass es ihn etwas angegangen wäre und was ich ihm damals als Kind natürlich leider nicht sagen konnte. „Aber es war ja nur ein Spiel und kein Plastikgewehr um Krieg zu spielen“, dachte ich bei mir. So erhielt ein Schüler nach dem anderen seine Rüge von besagtem Lehrer. Dann war ich an der Reihe und erzählte stolz von dem tollen Spiel, das ich mir mit meinem hart ersparten „Kilbi-Geld“ kaufte. Er jedoch schüttelte nur den Kopf und tadelte mich, auf der Kilbi ein Spiel um 188 Schilling gekauft zu haben.

Noch gut erinnere ich mich an seine missfallenden Worte und wie ich ihn dafür verachtete. Ich besitze das DKT heute noch und habe das gelbe Preisetikett des Spielzeughändlers extra darauf kleben lassen. Es erinnert mich daran, wie stolz ich damals auf meinen Kilbi-Einkauf war. Und ich spiele auch heute noch gerne „DKT“. Meistens dann, wenn unser 12-jähriger Neffe bei uns zu Besuch ist und es erwartungsvoll aus dem Wohnzimmerkästchen zieht, damit wir es gemeinsam spielen.

 

Text: Bertram Holzer

 

 

Berufe, die kaum einer kennt: “Jobprofil Mediendramaturgie”

Berufe die kaum einer kennt - Mediendramaturgie
Berufe die kaum einer kennt - Mediendramaturgie

Manchmal werde ich gefragt, was man als Mediendramaturg so alles macht. Nur wenige haben überhaupt eine Vorstellung, wie das Jobprofil im Bereich Mediendramaturgie aussieht. Wir Mediendramaturgen sind immer noch eine Nischengruppe, weshalb ich diesmal eine kurze Jobbeschreibung versuche, um unsere Tätigkeiten, Anforderungsprofile und Herausforderungen näher zu beleuchten…

 

Was bedeutet „Mediendramaturgie“

Das Wort „Drama“ stammt aus dem Griechischen und bedeutet „Handlung“. Als Pate des Dramas dürfte wohl unumstritten Aristoteles gelten und wenn Sie einmal seine Poetik in englischer Übersetzung lesen sollten, wird Ihnen vor allem die Häufigkeit des Wortes „Action“ auffallen. Es geht also um Handlungen und darum, Handlungen sichtbar zu machen. Der Begriff Dramaturgie bezeichnet die Bauform oder Struktur eines dramatisierten Handlungsspiels, das zugleich ein Plan ist, um ein Schauspiel praktisch zu realisieren. Dabei geht es um nachgeahmte Realitäten, dargestellt auf einer Bühne, in Film und Fernsehen oder heute eben auch im Web.

 

Woher wir Mediendramaturgen kommen

Wir Mediendramaturgen kommen aus den unterschiedlichsten Disziplinen. Viele von uns sind speziell ausgebildete Dramaturgen und Drehbuchautoren. Wir kommen außerdem sehr oft aus den geisteswissenschaftlichen Disziplinen, aus der Philosophie, der Kultur- und Medienwissenschaft. Andere stammen aus der journalistischen Schule und der Publizistik. Unsere Ausbildungswege sind ebenfalls sehr unterschiedlich, werden aber schlussendlich immer durch jahrelange Erfahrung und Kenntnis unseres Gegenstands geprägt. Eine Besonderheit unseres Berufsstands ist außerdem, dass bei uns künstlerisch-kreative und wissenschaftlich-analytische Aufgabenfelder selten getrennt sind und wir uns selbst nur selten in übergeordneter Berufsbezeichnung als Mediendramaturgen bezeichnen.

Nehmen wir beispielsweise einen berühmten Mediendramaturgen wie Umberto Eco. Er war ein großartiger Medienwissenschafter und Philosoph, der die Dramaturgie von Medien wie kaum ein anderer begriff, analysierte und die Erkenntnisse mit zahlreichen wissenschaftlichen Werken veröffentlichte. Andererseits war er aber auch ein begnadeter Schriftsteller, der viele erfolgreiche Romane und Filme veröffentlichte. (Der Name der Rose)

 

Die Aufgaben eines Mediendramaturgen

Schlussendlich befassen wir uns aber alle mit der Entwicklung, Analyse oder Herstellung von Medien in den unterschiedlichsten Formen und Funktionen, verbunden mit den unterschiedlichsten Inhalten. Ein Drehbuchautor ist beispielsweise auch ein Mediendramaturg. Er entwickelt und schreibt eine Story nach dramaturgischem Muster, um sie mit Handlungen und in Form von Bildern zu erzählen. Und eine Story muss von Beginn an spannend sein, soll uns begeistern und mit einer möglichst raffinierten Auflösung verblüffen.

Auch Fernsehsendungen oder Fernsehshows folgen den Konzepten der Mediendramaturgie. Sobald in audiovisuellen Bewegtbildmedien (spannende) Handlungen die Narration bestimmen, haben Mediendramaturgen ihre Finger im Spiel. Umgekehrt befassen sich auch Kritiker und die Medienwissenschaft mit den Erzeugnissen der Mediendramaturgie oder erstellen für geplante Medienproduktionen Analysen und Expertisen und greifen damit wiederum selbst in das Terrain eines Mediendramaturgen.

 

Die Zukunftsaussichten eines Mediendramaturgen

Auch wenn man es auf den ersten Blick kaum glauben mag: Die Zukunftsaussichten eines Mediendramaturgen habe sehr großes Potential. Mit dem immensen Anstieg audiovisueller Bewegtbildmedien wird auch die Anforderung an die Dramaturgie dieser Medien steigen. Mittlerweile wollen beispielsweise auch immer mehr Unternehmen spannende Unternehmensfilme und erkennen, dass die mittlerweile technisch günstigen Möglichkeiten nur die halbe Miete sind und vor allem die Inhalte der Medienprodukte Aufmerksamkeit und Begeisterung bei Zielgruppen auslösen. Es lohnt sich also, sich bei den zahlreichen Medienberufen in das Gebiet eines Mediendramaturgen zu vertiefen.

 

 

“Abschied nehmen” – Kurzgeschichte

Abschied nehmen

Es ist noch sehr ruhig an jenem frühen Morgen, an dem wir unsere große Runde im alten Rhein schwimmen. Ein paar Enten steuern auf uns zu, glotzen etwas verdutzt, was zwei Menschen schon so früh in ihren Gewässern verloren haben und schwimmen dann doch einen großen Bogen um uns herum. Während ich an diesem himmelblauen Morgen mit langen Zügen schwimme, denke ich über viele Dinge, über Projektideen und Geschichten nach. Heiß wird der heutige Tag wieder. Ungewöhnlich für August und plötzlich erinnere ich mich an den Tag, an dem mein Schulfreund beerdigt wurde.

Fünf Jahre sind jetzt vergangen und es war ein ähnlich heißer Augusttag, an dem wir in der Kirche saßen, um Abschied von ihm zu nehmen. Die Hitze war auch in der Kirche kaum erträglich und ich stellte mir vor, wie er auf uns herabschaute, lachte und uns fragen würde, wieso wir nicht in Shorts und T-Shirts gekommen sind. Ja, so war er eben. Unkompliziert, immer für Witze zu haben und selten zuvor kannte ich jemanden, der nie ein schlechtes Wort über jemand anderen verloren hätte. Und da saßen wir nun, in unseren schwarzen Anzügen und schwitzten, während ich allmählich in Gedanken versinke.

Vor nicht einmal einem Jahr hat er mich angerufen. Er druckste etwas herum und schnell ahnte ich, dass etwas nicht stimmte. Nach einiger Zeit dann die Hiobsbotschaft: „Ich muss dir sagen, dass ich gerade im Krankenhaus liege, weil ich Leukämie habe.“ Noch am selben Abend bin ich zu ihm ins Krankenhaus gefahren. Er wirkte gut gelaunt, sah auch nicht schlecht aus und freute sich über meinen Besuch. Wir gingen spazieren und er erzählte mir ausführlich, wie alles kam. „Alles nicht so schlimm“, meinte er und dass es eine sehr gute Heilchance gibt. Und nachdem er in derselben Zeit wie ich statt einer Zigarette gleich vier Zigaretten rauchte, war ich verleitet, seinen Worten zu glauben. „Kein Problem“, sagte er nur. „Sie haben es mir erlaubt und ich habe ja nicht Lungenkrebs.“

Die nächsten Tage habe ich ihn wieder besucht, bin dazwischen „Geben für Leben“ beigetreten, um mich typisieren zu lassen und habe ihm – auf seinen Wunsch hin – McDonalds Burger ins Krankenhaus mitgebracht. Ich konnte das Zeug kaum essen, aber er hat es verdrückt, als gäbe es kein Morgen mehr. „Ich kann dieses Krankenhausessen schon nicht mehr sehen“, klagte er und mir wurde plötzlich klar, wie lange er schon im Krankenhaus war. Und dann haben wir ihn nicht mehr erreicht. „Es geht ihm heute nicht gut“, sagte die Schwester zu uns und wir konnten ihn nicht mehr besuchen.

Zu Weihnachten dann eine gute Nachricht. Er durfte zuhause bei seiner Familie sein. Im neu gebauten Haus und die zwei Kleinen würden sich wohl genauso wie er auf seine Heimkehr freuen. Fragen über mögliche Spender wich er aber permanent aus. „Es sieht alles ganz gut aus“, versicherte er mir und dann folgte wieder lange Zeit Funkstille. Im April, zu seinem Geburtstag, ein kurzes Lebenszeichen per WhatsApp aus dem Krankenhaus. Und dann endlich durfte er nach Hause. Es war Ende Mai, als wir ihn zuhause besuchten. Lange hatten wir uns nicht mehr gesehen und äußerlich hat die Krankheit deutlich sichtbare Spuren an ihm hinterlassen.

Dafür zeigte er sich immer noch gut gelaunt, so, wie wir ihn immer kannten. Aber seine Augen verbarg er hinter einer Sonnenbrille, denn auch wenn es ein strahlend schöner Tag war, so hätte er unter anderen Umständen nie so eine Sonnenbrille getragen. Wir lachten, alberten herum und amüsierten uns über Geschichten von früher. Alles schien wieder gut zu sein. Er war wieder zuhause bei seiner Familie, hat die schwere Krankheit überwunden. Und als ich ins Auto steige und er uns begleitet, sehe ich ihn nochmals an: „Ich würde dich gerne bald wiedersehen“, verabschiede ich mich bei ihm und er antwortet mit einem Lächeln: „Das machen wir. Wir treffen uns sicher wieder.“ Das war das letzte Mal, dass ich ihn gesehen habe und erst jetzt, während seiner Verabschiedung in der Kirche, begreife ich, dass seine letzten Worte zu mir auch sein Abschied waren.

Die Entenfamilie taucht neben uns wieder schnatternd auf und wir beschließen, ihnen das Gewässer zu überlassen. Und als ich aus dem Wasser steige und mich nochmals mit Blick auf das andere Ufer des alten Rheins umdrehe, wird mir nochmals bewusst, wie wichtig es vor allem in bestimmten Situationen sein kann, sich von Freunden oder geliebten Menschen zu verabschieden.

 

 

Text: Bertram Holzer