Hollywood als Lebensmodell: Über „Dramaturgiegurus“ und ihre Erfolgsrezepte
- Beitrag veröffentlicht:Dezember 3, 2014
- Beitrags-Kategorie:Mediendramaturgie
Ich glaube es begann bereits in den 70er Jahren. Der Boom mit dem „Dramaturgiegeschäft“. In den USA witterten einige findige Drehbuchautoren die günstige Gelegenheit, Dramaturgie als Rezept zu verkaufen. Konkret: Sie verkauften „Aristoteles“ als IHR Erfolgskonzept, um Drehbuch als Handwerk zu erlernen und zu verstehen. Dumm waren dies Dramaturgen nicht. In meinem letzten Beitrag habe ich beschrieben, dass selbst Aristoteles Dramaturgie als erlernbare Technik erkannte. Drei international bekannte „Dramaturgielehrer“ möchte ich deshalb kurz vorstellen.
Syd Field
Durch seine Bücher erhielt ich Mitte der 90er Jahre erstmals einen tieferen Einblick darüber, wie Drehbuchautoren heute in Hollywood arbeiten (sollten). Field schreibt, dass ein Drehbuch eine in Bildern erzählte Geschichte ist. Die Struktur und den Aufbau einer Story bezeichnet er schlichtweg als Paradigma.Für mich als damaligen Newbie war dieses Modell der ideale Start, um Dramaturgie zu verstehen; aber was uns Field hier tatsächlich zeigt, ist nichts anderes als eine Adaption der Poetik von Aristoteles. Und die ist immerhin über zweitausend Jahre alt. Fields Erfolgsformel für das Erfolgsdrehbuch lautet:
STORY = Figur + dramaturgisches Ziel + Konflikt
Er behauptet, dass es bei allen Geschichten einen eindeutigen Anfang, eine präzise Mitte und ein bestimmtes Ende gibt und dass alle Drehbücher dieser Kausalkette folgen. Praktischerweise schreibt Field dem Drehbuchlehrling die Seitenzahlen vor, die zugleich den Filmminuten entsprechen. Beim sogenannten „Plot Point“ handelt es sich um eine Form des Konflikts, ein Ereignis oder eine Störung, die den Protagonisten aus der Bahn wirft, ihn aus seinem geregelten Lebenslauf reißt und vor ein zu lösendes Problem stellt. Idealerweise tritt dieser Plot Point kurz vor Beginn des zweiten und des dritten Aktes ein. Im zweiten Akt muss die Figur sämtliche Konfrontationen beim Erreichen ihres Zieles überwinden. Kurz vor Beginn des dritten Aktes ereignet sich nochmals ein Plot Point, der den Protagonisten zur Lösung des Problems im dritten Akt führt.
Eine Story entsteht durch mindestens eine Figur, die ein bestimmtes Ziel verfolgt und dabei durch Probleme und Hindernisse gestört wird. Die Überwindung dieser Probleme zwingt die Figur zu Handlungen, die wiederum den Charakter dieser Figur enthüllen.
Irgendwann musste wohl auch Field erkennen, dass eine Story weitaus komplexer sein kann, als sein Paradigma darzustellen vermochte. Deshalb erweiterte er es in einem anderen Buch um den „Midpoint“ im zweiten Akt. Dabei hatte Field überhaupt keine Ahnung, was es mit diesem zentralen Punkt auf sich hatte und er gibt das auch in seiner Publikation offen zu. Die Hintergründe für diese Erweiterung sind aber offensichtlich. Einerseits versuchte Field ein weiteres Element, eine Zwischenstation zu schaffen, um Storys einfacher strukturieren zu können. Er teilt den „Fahrplan“ Richtung Auflösung in zwei Teile. Andererseits suchte er aus Gründen der Legitimation nach Filmen, in denen dieser Midpoint vorhanden war. Gab es ihn nicht, wurde das Ereignis, das ungefähr in der 60. Filmminute eintreten sollte, als solches konstruiert und verteidigt.
Die Gefährlichkeit dieses Unterfangens liegt nun in der Annahme, dass Field damit stereotype Storys provoziert und dies die Produktionslogik Hollywoods massiv beeinflusst. Es handelt sich bei Fields Paradigma zwar um „Aristoteles leicht verständlich“ und ist für Menschen, die sich für Dramaturgie zu interessieren beginnen ein durchaus nützliches Hilfsmittel. Aber es handelt sich hierbei wirklich nur um ein vereinfachtes Modell, dass sicherlich nicht in allen Filmen auffindbar ist.
Trotzdem befindet sich Field mit seinem Drei-Akt-Modell in bester Gesellschaft.
Linda Seger
Auch Linda Seger ist anerkannte Dramaturgielehrerin und veröffentlichte ihr ideales Modell, um Geschichten dramaturgisch zu strukturieren. Die Ähnlichkeit, zu Fields Paradigma, ist unübersehbar. Auch Seger gibt ihren Drehbuchlehrlingen Seitenzahlen für dramaturgische Wendepunkte vor.
Robert McKee
Er gilt ebenfalls als Koryphäe in Sachen Dramaturgie. Mir persönlich gefallen seine Ausführungen am besten. Als erstes stelle ich in seiner Publikation fest, dass er die Adaption der Poetik von Aristoteles nicht als eigene Erfindung verpackt. Zweitens kann ich erkennen, dass McKee mehr in die Tiefe taucht und der Figurenkonstruktion in einer Story die große Wichtigkeit zukommen lässt. Und drittens schreibt er unheimlich gut und erklärt komplexe Zusammenhänge in locker süffisanter und trotzdem gut verständlicher Schreibweise. Aber natürlich trachtet auch er danach, die aristotelische Dramaturgie in Hollywood lebendig zu halten, um auch zukünftig viele Millionen Dollars in die Kinokassen zu spülen.
Wer verursacht den Hollywood-Einheitsbrei?
Die klassische Drei-Akt-Struktur, die wir ständig in Hollywoodfilmen finden, ist deshalb kein Zufall. Es gibt einen erkennbaren Zusammenhang zwischen den Lehren der „Drehbuchgurus“ und der Produktionsweise Hollywoods. Aber wer ist nun wirklich der Verursacher der Storys, die alle nach demselben Muster gestrickt sind? (Und deshalb leider allzu oft vorhersehbar sind.) Produziert Hollywood nach den Regeln eines Syd Field, schreibt Field aufgrund bestehender Produktionsprinzipien oder sind wir selbst und unser Unterhaltungsbedürfnis der Auslöser für die Storys, mit denen uns Hollywood beliefert?
Ich glaube, dass wir einfach nur unsere Erwartungshaltung zurückschrauben müssen, um das „Hollywood-Zerstreuungskino“ genießen zu können. Auch wenn meine Ausführungen eine andere Vermutung zulassen könnten; ich persönlich kann mich heute noch an einem gut konstruierten Blockbuster erfreuen. Die Faszination für „Baumusterfilme“ nach den Lehren Aristoteles (oder seinen heutigen Nacheiferern) wird auch weiterhin leben. Ich werde die Gründe dafür in meinem nächsten Beitrag näher erläutern.
Verwendete Quellen für diesen Beitrag:
Field, Syd (1996): “Das Drehbuch” In: Andreas Meyer und Gunther Witte (Hg.): Drehbuchschreiben für Fernsehen und Film. Ein Handbuch für Ausbildung und Praxis 6. Auflage. München [u.a.]: List, S. 11–120.
Field, Syd (2001): Das Handbuch zum Drehbuch. Übungen und Anleitungen zu einem guten Drehbuch 13. Auflage. Frankfurt am Main: Zweitausendeins.
McKee, Robert (2000): Story. Die Prinzipien des Drehbuchschreibens. Berlin: Alexander.
Seger, Linda (1998): Das Geheimnis guter Drehbücher 2. Auflage.