“(K)eine Reise mit versteckter Kamera” – Kurzgeschichte

Bertram Holzer: "Keine Reise mit versteckter Kamera"

Manchmal kann eine Eisenbahnreise nach Wien auch ohne Lektüre ganz unterhaltsam sein. Mit dieser Erkenntnis stiegen wir am Wiener Hauptbahnhof aus und auch wenn wir ziemlich hungrig das Abteil verließen, so war zumindest unser Reiseticket jeden Cent wert.

Wir steigen also früh morgens in das Abteil und freuen uns auf Frühstück. Es dauert auch nicht lange, bis er plötzlich vor uns steht. Ein Typ, der aussieht als könne er keiner Fliege etwas zuleide tun. Schlank, dunkle Haut und mit Schlafzimmerblick fragt er uns sehr höflich und mit ausländischem Akzent, was wir den gerne hätten. Wir bestellen unsere Frühstückswünsche, er hört uns aufmerksam zu, ohne etwas zu notieren. Und dann sagt er zu mir: „Es tut mir leid, Semmeln sind ausverkauft. Nur Croissant haben wir.“ Na gut. Dann eben nur Kaffee und Croissant und zu meiner Frau – sie wollte ein Biofrühstück – meint er: „Haben wir leider keine Apfel mehr. Ist gut?“ Okay, sie nimmt ihr Frühstück eben ohne Apfel. Dann verschwindet er genauso unauffällig, wie er aufgetaucht ist.

Wir warten, meine Frau beginnt etwas in ihren Zeitschriften zu blättern. „Auch nicht schlecht“, sage ich lachend zu ihr. „Der Zug ist gerade losgefahren und die Semmeln sind schon ausverkauft.“ Die Zeit vergeht, das Abteil hat sich mittlerweile gefüllt und immer noch kein Frühstück. Die Fahrgäste suchen ungeduldig nach der Servicekraft des Bistros. Und dann steht er wieder bei uns. Ich bekomme meinen Kaffee und Gebäck und meine Frau erhält ihr Biofrühstück, das so ziemlich alles enthält, was sie nicht bestellt hat. Dafür fehlt – wie angekündigt – der Apfel. Wir nehmen es schmunzelnd hin und beginnen zu essen.

Im Abteil werden die Fahrgäste um uns herum ungeduldig. Aber unser Freund vom Bistro scheint sich nicht aus der Ruhe bringen zu lassen. Ich nehme einen Schluck Kaffee und beobachte ihn, wie er eine weitere Bestellung aufnimmt. Ein Mann, gut gekleidet mit aufgeklapptem Notebook, ordert mit bestimmendem Ton sein Frühstück. Offensichtlich ein Geschäftsmann und der junge Mann vom Bistro hört nickend zu. Und dann zum Schluss: „Ich muss Ihnen leider die Mitteilung machen, Frühstück ist ausverkauft.“ Meine Frau verschluckt sich beim Versuch, ihr Lachen zu unterdrücken, denn auch sie hat die Szene aufmerksam beobachtet. Der Geschäftsmann aber findet das nicht so witzig und wird ungehalten: „Wie ausverkauft! Das sagen Sie mir jetzt? Dann müssen Sie mir eine Alternative anbieten.“ Gespannt sehen wir zu, wie der Bistromann Ruhe bewahrt, versucht, ihm das gewünschte Frühstück auszureden. Aber der Geschäftsmann bleibt hartnäckig und ich flüstere zu meiner Frau: „Das könnte heikel enden.“ Schlussendlich verspricht ihm unser Freund vom Bistro doch ein Frühstück und zieht wieder gemütlich schlendernd ab. Auf seinem Weg wird er erneut von einem Fahrgast aufgehalten: „Ich habe jetzt schon vor einer halben Stunde ein Wasser bestellt. Wann kommt das endlich?“ „Ich komme in fünf Minuten zu ihnen.“ Und weg ist er.

Wieder vergeht Zeit und nach einer viertel Stunde taucht der Bistromann endlich wieder auf. Auf seinem Tablet ein Wasser und ein Kaffee, den er dem Geschäftsmann bringt. Der sieht in ungläubig an: „Und wo ist jetzt mein Frühstück?“ Wieder sehen wir gespannt hinüber. „Ich muss Ihnen leider die traurige Mitteilung machen, Croissant ist ausverkauft.“ Wieder müssen wir unser Lachen unterdrücken, aber der Geschäftsmann wird wütend, verlangt irgendein anderes Gebäck und wieder zieht der Bistromann freundlich nickend ab. „Ich bin gespannt, wie das ausgeht“, sage ich zu meiner Frau und dann plötzlich fällt mir ein, dass mich der Bistromann an einen bestimmten Komiker erinnert. Ich blicke mich um und frage mich, ob wir möglicherweise in „Versteckte Kamera“ gelandet sind. Abermals verstreicht einige Zeit und endlich erhält der Geschäftsmann etwas, das nach Frühstück aussieht. Er akzeptiert es sehr unfreundlich, während der Bistromann freundlich lächelnd einem anderen Fahrgast erklärt, dass mittlerweile auch der Kaffee ausverkauft ist. Und wieder kämpfen meine Frau und ich damit, nicht schallend zu lachen. „Wenn das wirklich versteckte Kamera sein sollte, steigen wir wenigstens nicht schlecht aus“, denke ich kurz darauf.

Und so geht das unterhaltsame Schauspiel weiter und wir ergötzen uns an den verdutzten Gesichtern anderer Fahrgäste. Längst haben wir unsere Lektüre weggelegt, um unseren Freund vom Bistro in Aktion zu beobachten. Dann hören wir: „Wir wollten bereits vor einer halben Stunde bezahlen. Sie haben jetzt noch zehn Minuten Zeit, dann steigen wir aus.“ „Ich bin in fünf Minuten bei Ihnen“, hören wir als Antwort und tatsächlich steht er kurz darauf parat. Nachdenklich beginnt er zu rechnen. „Warum rechnet er? Er muss die Bestellung doch nur eingeben“, fragen wir uns. Vielleicht doch versteckte Kamera? Aber der Betrag scheint zu stimmen, die Leute kontrollieren jedenfalls nicht den Beleg, den sie erhalten.

Unsere Reise nähert sich dem Ende und ein weiterer Fahrgast beschwert sich: „Entschuldigen Sie, ich habe jetzt vor einer halben Stunde eine Leberkässemmel bestellt.“ Der Bistromann sieht ihn bedauernd an und antwortet: „Ich habe leider schlechte Nachrichten für Sie. Leberkässemmel geht sich leider nicht mehr aus vor Endstation.“ „Aber wir sind ja nicht mal in St. Pölten.“ Er nickt besänftigend mit seinem schlaftrunkenen Blick und meint: „Ja, das tut mir wirklich sehr leid für Sie.“ Und dann zieht er wieder ab. Mittlerweile hat er sich meinen größten Respekt verdient, denn ich bin mir sicher, dass wir uns nicht in „der versteckten Kamera“ befinden. Das Bistro ist einfach nur mit einem fast leeren Speisewagen losgefahren und dieser raffinierte Kerl hat es mit seiner überspitzt höflichen Art geschafft, auch die unangenehmsten Fahrgäste zu besänftigen, indem er ihnen irgendetwas Auffindbares zum Essen oder Trinken serviert.

Und auch wir schaffen es schlussendlich doch, unsere Rechnung bei ihm zu bezahlen. Wieder grübelt er, als würde er angestrengt rechnen, tippt dann die Bestellung ein und gibt uns einen Beleg. Ich gebe ihm ein großzügiges Trinkgeld, er konnte uns kulinarisch und als Servicekraft zwar nicht wirklich verzücken, dafür hat er uns während der Reise als Entertainer umso besser unterhalten. Er verschwindet und wir haben ihn das letzte Mal gesehen. Dann blicke ich gespannt auf den Beleg. Er hat uns trotz meines Trinkgeldes zu wenig verrechnet.

 

Text: Bertram Holzer