Das Bewerbungsgespräch im Kommunikationsquadrat

Das erfolgreiche Bewerbungsschreiben ist der erste Schritt zur neuen Arbeitsstelle. Der zweite Schritt besteht in der Einladung zu einem Bewerbungsgespräch. Dann geht es um die Wurst und eines vorweg: Meine eigenen Erfahrungen mit Leuten aus dem Personalmanagement sind sehr zwiespältig und für die Begegnung mit solchen Menschen sollte man über das eigene Selbstvertrauen eine sehr dicke Haut stülpen. Viele dieser „Personalhändler“ könnte man tatsächlich als Menschenhändler bezeichnen, aber sehr viele Personalmanager agieren auch hochintelligent, wahren Respekt und vermeiden deshalb intime Fragen. Trotzdem sind einige nicht nur berufsbedingt sehr neugierig und passionierte Zeichendeuter. Der erfolgreiche und engagierte Personalscout versucht ständig zwischen den Zeilen zu lesen. Was steht hinter den Aussagen des Bewerbers? Welche Codes können den wahren Charakter eines Kandidaten enthüllen? Es kann daher auch für einen Bewerber recht vorteilhaft sein, etwas mehr über Kommunikationsprozesse und die Deutung versteckter Botschaften während eines Dialogs zu wissen.

Das Kommunikationsquadrat nach Friedemann Schulz von Thun

Ein Bewerber sollte versuchen, während dem Bewerbungsgespräch auch seinen Dialogpartner etwas „auszuspionieren“. Und das ist nur gerecht, denn auch der Bewerber wird noch bevor er seinen Mund öffnet gescannt. Das Kommunikationsquadrat von Friedemann Schulz von Thun ist ein hervorragendes Modell, um einen Kommunikationsprozess und die Deutung von Codes besser zu verstehen. Wir finden dieses Kommunikationsmodell übrigens auch ständig in all den erfolgreichen dramaturgischen Werken. Wenn wir miteinander kommunizieren, dann tun wir das ständig in vierfacher Weise. Das gilt sowohl für den Sender als auch für den Empfänger einer Botschaft. Deshalb ist Schulz von Thuns Modell auch unter dem Namen „Vier-Ohren-Modell“ bekannt geworden.

Während des Kommunikationsprozesses senden und empfangen wir ständig vier Informationen. Um es nochmals mit den Worten von Paul Watzlawick zu verdeutlichen: „Wir können nicht nicht kommunizieren.“

Sachinhalte und Inhalte in eigener Sache

Der Personalmanager sendet Informationen über Fakten und Daten zum Unternehmen und der Bewerber sperrt sein Sachinhaltsohr auf. Er hört möglicherweise Informationen zur Gründung des Unternehmens oder zur Firmenphilosophie. Prinzipiell gibt es auf Sachebene nur Wahrheit und Lüge. Während Daten zur Firmengründung wohl oder übel als wahrheitsgetreue Fakten vom Bewerber übernommen werden, kann er sich bei den Informationen über die bestehende Firmenphilosophie nicht immer sicher sein. Freilich gibt es öffentlich publizierte Firmenleitsätze und ein gut vorbereiteter Kandidat kennt diese auch. Aber ein Personalmanager sollte sich davor hüten, subjektive Eindrücke im Verständnis der Firmenphilosophie einfließen zu lassen. Der Empfänger könnte Abweichungen von Sachinformationen erkennen und zugleich ein Stück Selbstkundgabe des Senders erkennen.

Selbstkundgabe und die versteckten Codes

Ein aufmerksamer Empfänger kann durch Abweichungen in Sachinformationen eine Selbstkundgabe des Senders aufspüren. Was ist das wirklich für ein Mensch? Warum glorifiziert er ständig das Unternehmen und seinen persönlichen Beitrag zum Firmenerfolg? Meint dieser Mensch tatsächlich was er sagt? Ist er tatsächlich so begeistert oder nur ein Blender, der seinen Job macht und eigentlich gar nicht neugierig ist mich näher kennenzulernen? Werden mir in diesem Gespräch nur listenartig die Standardfragen gestellt, die ich von zahlreichen Internetseiten bereits kenne? Oder versucht mich der Personalmanager mit gezielt eingestreuten Fragen zu meinem Privatleben aus der Reserve zu locken?

Die Liste solcher Fragen lässt sich beliebig fortsetzen. Als Bewerber oder als Empfänger von Botschaften könnte man eine Checkliste solcher Fragen vorbereiten, um dann mit dem Ohr für die Selbstkundgabe die ausgesendeten Codes des Senders zu entschlüsseln. Umgekehrt gilt natürlich dasselbe, da die Rollen von Sender und Empfänger in einem (guten) Dialog ständig wechseln. Ein Personalrecruiter, der mehrmals versucht dem Bewerber vertrauliche Informationen wie zum Beispiel dessen Gehalt zu entlocken, gibt ein großes Stück Selbstkundgabe preis. Nicht nur dass er ein neugieriger Mensch ist, sondern vor allem auch dass er ein Druckmittel entlocken möchte, um in weiterer Folge die Gehaltsvorstellungen des Kandidaten kontrollieren zu können. Um diese Kontrolle zu erlangen, appelliert der Sender.

Die Appellseite und die einschüchternden Befehle eines Senders

Der Personalmanager wird hartnäckig versuchen, seinem Kandidaten möglichst viele Informationen zu entlocken. Teilweise geschieht das indirekt durch Fragen, die mit der ursprünglich benötigten Information gar nichts zu tun haben. In diesem Fall muss man sich als Empfänger vor ungewollter Selbstkundgabe hüten. Aktiv wird der Sender aber auch direkte Fragen stellen, um dem Bewerber Sachinformationen zu entlocken, die dieser eigentlich lieber verbergen möchte. Mein Appell: an euch: Hüten Sie sich vor dem „Befehl“, private Informationen preiszugeben. Bei solch einem Appell sollte das eigene Selbstwertgefühl gestärkt werden, indem die eigene Selbstkundgabe aktiv unterdrückt wird. Ich hatte einmal das Vergnügen, einen besonders neugierigen Personalscout in die Schranken zu verweisen. Privat ist nun einmal privat und kein Job kann meines Erachtens so wichtig sein, die Verletzung der eigenen Prinzipien zu dulden. Aber durch „unerlaubte“ Fragen oder unangemessenem Verhalten erkennen wir als Empfänger auch die Zeichen, wie wir sie vom Sender erhalten.

Die Beziehungsseite als ständiger Begleiter erfolgreicher Gespräche

Wenn die Chemie zwischen Sender und Empfänger nicht stimmt, sind alle Bemühungen vergebens und der Dialog eines Bewerbungsgespräches wird immer scheitern. Dramaturgisch ist die Störung einer Beziehung eine wichtige Herangehensweise spannende Storys zu erzählen. Im realen Leben jedoch wollen wir diese Störungen – wen wundert das – natürlich nicht erleben. Ein Lächeln und eine offene Ausstrahlung dürfen daher nicht nur von einem Bewerber erwartet werden. Auch der Sender, der den Kandidaten immerhin zum Bewerbungsgespräch eingeladen hat, sollte sich hüten aufgesetzte Freundlichkeit vorzuspielen. Ein großer Vorteil ist zweifellos, dass man kein Psychologe sein muss, um die Qualität einer Begegnung einordnen zu können. Eine freundliche Begrüßung, das Anbieten von Getränken, die Frage nach der Anfahrt und ein kurzer Smalltalk gehören zum Standardprozedere, bevor der Switch zum eigentlichen Vorstellungsgespräch erfolgt. (Auch wenn es natürlich auch hier immer wieder unerfreuliche Erlebnisse für Kandidaten geben kann.) Der entscheidende Faktor, das Zeichen um die Qualität der Beziehungsseite einordnen zu können, besteht in der Zeit.

Wie lange lässt sich der Personalmanager für die Begrüßung und Smalltalk Zeit? Zeit lassen bedeutet, dass mein Gegenüber Interesse am Gespräch mit mir hat, obwohl möglicherweise noch viele andere Kandidaten folgen werden. Auch während des Bewerbungsgespräches ist lange andauerndes Interesse für meinen Werdegang das Indiz für die Faszination meiner Persönlichkeit: „Ich bin beeindruckt von deinem Weg, erzähle mir mehr über deine Motivationen und deine Erlebnisse während deiner beruflichen Karriere.“ Auch anhand der Mimik und Gestik eines Fragenden kann sehr viel gedeutet werden: „Kann mir dieser Mensch, der mir so viele Fragen stellt, dabei auch offen in die Augen schauen?“ „Warum knipst er ständig mit seinem Kugelschreiber, weil er ein nervöser Typ ist oder weil er mich nervös machen möchte?“ Es sind auch hier die kleinen, manchmal unbedeutend erscheinenden Gesten, die uns sehr viel über die Beziehung zueinander verraten.

Die vier Ebenen des Kommunikationsquadrats zwischen Sender und Empfänger stehen ständig in Wechselwirkung zueinander. Deshalb ist es auch sehr schwierig, ich behaupte unmöglich, den Kommunikationsprozess einseitig steuern zu wollen. Und das ist auch überhaupt nicht notwendig, denn um überhaupt kommunizieren zu können, wechseln wir auch immer die Rollen von Sender und Empfänger. Das Erkennen und Interpretieren von Zeichen in diesem Prozess können deshalb auch immer für beide Seiten viele Vorteile haben.

 

Onlinequelle zu diesem Beitrag: https://www.schulz-von-thun.de/die-modelle/das-kommunikationsquadrat