„Eine Mama hast du nur einmal…“

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„Eine Mama hast du nur einmal im Leben“, hat mir Mama als Kind einmal gesagt. Und das war sie wirklich – eine Mama, mit Leib und Seele. Sogar unser Papa hat sie wohl deshalb manchmal liebevoll Mama genannt.

Unsere Mama wurde am 30. Juni 1935 als Helene Stockmaier in Neukirchen am Großvenediger, einer Pinzgauer Gemeinde im Salzburger Land, geboren. Dort verbrachte sie eine bescheidene Kindheit mit ihren drei Geschwistern. Ihr Papa Kajetan war zwar ein einfacher Waldarbeiter, er war aber auch sehr erfolgreich und erfahren bei der Suche nach Mineralien. Trotzdem musste Mama schon früh arbeiten gehen. Für eine Ausbildung blieb nach den Grundschuljahren kaum Geld. Freilich mochte sie als Kind Spiele wie Verstecken oder Tempelhüpfen besonders gerne. „Aber damals war man auch schnell zufrieden, denn so viel haben wir ja nicht gehabt“, erzählte sie uns.

Anfang der 50er Jahre wurde sie nach Vorarlberg geschickt. Kaum 17 Jahre alt, arbeitete sie als Näherin in Lustenau. Dort wurde sie zum Glück gut von den Hausleuten behandelt, nicht so, wie viele andere „Zugeraste“ aus Salzburg, Kärnten oder der Steiermark. Menschen, denen es nicht so gut ging, taten Mama immer leid. Ja, so war sie, unsere Mama. Immer mit sehr viel Mitgefühl und Sorge für andere, manchmal aber auch mit zu wenig Mitgefühl für sich selbst ausgestattet.

Dann hat sie unseren Papa kennengelernt. Der hat sie eines Tages in luftiger Höhe eines Dachstuhles, den er als Zimmermann in der Lustenauer Schillerstraße errichtete, das erste Mal mit einer Freundin gesehen. Ein Zimmermannskollege rief zu den beiden Mädchen hinunter: „Schönes Fräulein, sie gefallen mir.“ Und trotz großer Konkurrenz war für Papa sofort klar, dass er sich das hübsche blonde Mädchen angeln würde, das da unten mit ihrer Freundin spazieren ging.

Dann hat er Mama wirklich erobert. Zuvor wollte er aber noch mit seinem Kumpel und auf dessen Motorrad die mühevolle Fahrt nach Neukirchen am Großvenediger unternehmen, um seine große Liebe dort zu besuchen und sich über deren Aussteuer ein Bild zu machen. Dafür schob er sogar das schlapp machende Motorrad über den Gerlospass.

Umgekehrt staunte Mama nicht schlecht, als sie das erste Mal sah, wo Papas Familie wohnte. Schnurstraks holte sie einen Besen aus der Kammer und begann zu fegen. Damit hat sie Papa auch Jahre später immer wieder gerne aufgezogen, wenn sie zu ihm sagte: „Eine Lustenauerin wäre dir da niemals in diese Bude eingezogen.“ Dann lachte sie immer so herzhaft und Papa verschluckte sich nicht selten bei einem guten Glas Wein nach solch schlagfertigen Kommentaren seiner Frau.

Am 2.Juni 1958 haben meine Eltern geheiratet. Hier, in der Kirche St. Peter und Paul, haben sie sich vor 65 Jahren das Ja-Wort gegeben. Als ich Mama fragte, welches das schönste Ereignis in ihrem Leben war, dann sagte sie nur: „Das finde ich eigentlich eine blöde Frage, weil, es gibt doch so viele schöne Erlebnisse. Wie soll man sich auf nur Eines festlegen? Als ich zum Beispiel geheiratet habe und erstmals Mama wurde, waren das schöne Erlebnisse. Und dann seid ihr drei auch gekommen, das waren doch auch alles sehr schöne Erlebnisse“, hat Mama mir erzählt und zufrieden gelächelt. Sie selbst hat ihre Mutter und unsere Oma leider viel zu früh verloren. Schmerzhaft musste sie damals erfahren: „Eine Mama hast du nur einmal im Leben.“

Als die Jahre vergingen, durfte unsere Mama auch Oma werden und erfreute sich über die regelmäßigen Besuche ihrer Enkelkinder. Wieder einige Jahre später haben auch die Ur-Enkel das Schokoladenversteck ihrer Uroma entdeckt, aus dem es hin und wieder eine süße Belohnung für einen Kurzbesuch gab. 

Unsere Mama hat ihr Leben tatsächlich 88 Jahre lang ausschließlich für uns, ihre Familie, gelebt. Dann, wenn sie für uns sorgte, als wir krank waren. Oder wenn sie für uns da war, wenn es uns nicht gut ging. Sie hatte auch diesen berühmten sechsten Sinn und spürte oft lange zuvor, wenn etwas nicht stimmte. Als Sternzeichen Krebs war sie außerdem nicht nur sehr fürsorglich und hilfsbereit, sondern auch besonders häuslicher Natur. Denn sie liebte es, gemütliche Stunden auf ihrem Kanapee in unserer Stube zu verbringen. Manchmal etwas zum Leidwesen unseres Papas, der es aber immer wieder geschafft hat, sie für viele schöne Reisen durch ganz Europa zu begeistern.

Mama war nicht nur ein Stubentiger, sie liebte es mit der ganzen Familie in ihre Heimat nach Neukirchen in den Urlaub zu fahren. Im Sommer zum Wandern, im Winter zum Schifahren. Auch, wenn sie fast 70 Jahre immer wieder vor dem Heimaturlaub darüber jammerte, Koffer packen zu müssen. Dann aber, wenn sie wieder in ihrer Heimat war, konnte sie mit Papa die Berge genießen. Auch nachdem wir Kinder nicht mehr mitgingen, erkundeten die beiden sämtliche Dreitausender im Nationalpark Hohe Tauern.
Auch die Treffen mit ihren Geschwistern im elterlichen Haus „Bergkristall“ bedeuteten ihr sehr viel. Mama war 2019 das letzte Mal in Neukirchen am Großvenediger. „Wenigstens haben wir dort noch so viele schöne Jahre gemeinsam verbringen können“, sagte sie mir noch vor einiger Zeit.

Auch Freundschaften waren ihr immer sehr wichtig, weil sie wusste, dass ihre Freundschaften über die vielen Jahrzehnte hinweg nicht selbstverständlich waren und deren Kostbarkeit deshalb auch immer wieder betonte. Heute und in den letzten Stunden ihres Lebens, habe ich mich wieder an Mamas Worte erinnert: „Denn eine Mama hat man wirklich nur einmal im Leben.“

Wie tröstlich ist es doch für mich zu wissen, dass du jetzt an einem anderen Ort über uns wachen und eines Tages erwarten wirst. Vielen Dank liebe Mama, dass ich dich so lange haben durfte. Du warst für mich die beste Mama, die mich immer und jederzeit liebte und die ich genauso bis zu meiner eigenen letzten Stunde lieben und in meinem Herzen bewahren werde.