Medienzeichen sind ein Spiegelbild sichtbarer Zeichen in unserer Welt. – So lautet die Prämisse dieser Beitragsserie. Um diese These zu beleuchten, werde ich mich heute mit Überlegungen zur Wirklichkeit oder noch besser, unserem Verständnis von Wirklichkeit, befassen. Dabei kommt man natürlich nicht umhin, einen der bedeutendsten Vertreter des Konstruktivismus näher kennenzulernen.
Paul Watzlawick
Watzlawick gehört zu den wichtigsten Kommunikationswissenschaftern. Von ihm stammt auch eines meiner Lieblingszitate: „Man kann nicht nicht kommunizieren.“ Ich werde in diesem Blog noch öfter auf Watzlawick zurückgreifen, doch bereits jetzt möchte ich vorwegnehmen, dass dieses Zitat trefflich zu unserer Auffassung von Wirklichkeit passt. Als Vertreter des Konstruktivismus sagt uns Watzlawick zusammengefasst, dass Wirklichkeit beinahe immer nur aus unserem Kommunikationsverhalten und dem Verständnis zwischenmenschlichen Verhaltens entsteht. Demnach gibt es auch Wirklichkeiten erster und zweiter Ordnung. Wir wissen zum Beispiel heute nachweislich, dass unsere Erde rund ist. Es handelt sich um eine objektive und nicht bestreitbare Tatsache, – der Wirklichkeit erster Ordnung. Die Wirklichkeit zweiter Ordnung sollte uns hier aber sehr viel mehr interessieren, denn ihr Wahrheitsgehalt liegt in ihrer Deutung oder präziser formuliert, in ihrer subjektiven Bedeutung für ein Individuum.
Wir selbst konstruieren die Wirklichkeit
Angenommen wir wollten gerne einmal nach Hawaii reisen. Wir waren noch nie dort und kennen das Land nur durch die Medien, vielleicht haben uns auch schon Freunde oder Bekannte von der Trauminsel erzählt. Aber wir kennen dennoch nur die kommunizierten Bilder, die sich in unserer Vorstellung abspielen. Es handelt sich um konstruierte Bilder, denn auch hinter den Medien befinden sich Macher, die uns ihre subjektive Wirklichkeit zeigen. Wie könnten diese Bilder von Hawaii aussehen? Ein nahezu kitschiges blau-grünes Meer, ein weißer Strand, eine von Menschen unberührte Insel mit mächtigen im Wind wehenden Palmen und wunderschönen hawaiianischen Mädchen im Kokosnussbikini? Diese Bilder kennen wir alle, sie werden global kommuniziert und damit auch konstruiert. Sie werden aber wohl in den seltensten Fällen konform mit den Bildern unserer eigenen Erfahrung sein. Die Wirklichkeit zweiter Ordnung ist eine Konstruktion, die nur selten mit der Wirklichkeit erster Ordnung übereinstimmt. Der Grund dafür ist eigentlich recht einfach.
Manipulierte Wirklichkeiten oder fehlgeleitetes Kommunikationsverhalten?
Wirklichkeiten zweiter Ordnung werden manipuliert. Das heißt nicht, dass Manipulation negativ sein muss. Ein einsamer Strand, ein klares Meer mit gleichförmigen Wellen, all das sind Konstruktionen eines Mediums, das uns beispielsweise folgende Botschaft mitteilen möchte: „Hier in Hawaii findest du die notwendige Ruhe und Entspannung vom hektischen Arbeitsalltag.“ Diese Botschaft finden wir oft in der Werbung vieler Reiseveranstalter, die aber völlig konträr zur Wirklichkeit ist, die uns tatsächlich in Hawaii begegnen könnte. In unserer heutigen Medienwelt sind wir natürlich viel aufgeklärter und wir wissen, dass wir uns ständig vor den Versprechungen und Lügen der Werbewelt hüten müssen. Wir wissen, dass Medien immer Botschaften transportieren und deshalb auch ständig kritisch hinterfragt werden müssen. Aber bei den Bildern einer unberührten Insel handelt es sich um Zeichen, die sich fest in unser Gedächtnis verankert haben. Mit anderen Worten: Wir können die Wirklichkeit zweiter Ordnung nicht anzweifeln, weil wir an die Zeichen glauben wollen. Das (Medien)Bild von Hawaii würde sich für uns erst dauerhaft verändern, wenn wir einen Urlaub mit Dauerregen erlebt hätten oder wenn wir einen Sturm nur um haaresbreit überlebt hätten. Die Medien kommunizieren ein Bild von Realität, dass von erlebter Realität abweicht. Ich spreche hier absichtlich von Kommunikation, denn konstruierte Wirklichkeiten sind nichts anderes, als manipulierte Kommunikationsakte.
Sturheit oder getäuschte Wahrnehmung von Wirklichkeit?
Ich bin mir sicher, dass es genügend Menschen gibt, die von sich selber behaupten, nicht getäuscht werden zu können. Dass sie über sehr großes Selbstbewusstsein und über einen so hohen geistigen Verstand verfügen, dass ihre Wahrnehmung niemals irregeleitet werden kann. Diese Menschen irren sich. Um das zu erläutern, möchte ich kurz von einem bekannten Experiment des amerikanischen Sozialpsychologen Solomon Asch erzählen, das übrigens auch in Watzlawicks Buch, Wie wirklich ist die Wirklichkeit, nachzulesen ist:
In diesem Experiment gab es zwei Bilder. Auf Bild A war eine Linie zu sehen, auf Bild B waren drei Linien mit jeweils unterschiedlicher Länge zu sehen. Die Versuchspersonen mussten nun jeweils die Linie auf Bild B identifizieren, die dieselbe Länge wie die Linie auf dem Vergleichsbild A hatte. In Wirklichkeit gab es bei diesem Experiment aber nur eine Versuchsperson, die anderen Personen gehörten zum Team der Versuchsleiter und wurden angewiesen, absichtlich falsche Antworten zu geben. Ich glaube wir können uns alle gut vorstellen, was sich im Kopf der ratlosen Versuchsperson abgespielt haben muss. Linien, die eindeutig als kürzere Linien zu erkennen waren, wurden von der Gruppe als gleichlang identifiziert. Die Versuchsperson schloss sich schließlich immer der Gruppenmehrheit an und urteilte somit gegen ihre eigentliche Wahrnehmung. Asch stellte zwar fest, dass die Anzahl der Gruppe eine wichtige Rolle bei diesem Experiment spielte, die Versuchspersonen unterwarfen sich aber fast immer der mehrheitlichen Meinung. Umgekehrt aber konnte ein Partner, der dieselbe Meinung vertrat, auch die Stärkung der eigenen Wahrnehmung fördern. Bemerkenswert waren dann jedoch die Aussagen der Versuchspersonen, die an ihrer Wahrnehmung festhielten, nachdem diese über das Experiment aufgeklärt wurden. Sie erzählten von ihren Ängsten, möglicherweise an einer geistigen Störung zu leiden, da es unmöglich sein konnte, dass so viele andere Menschen unter einer falschen Wahrnehmung litten.
Auch Menschen mit überaus hohem Selbstbewusstsein können durch eine Mehrheit – ich behaupte auch durch Medien – manipuliert werden. Sei es durch Sturheit oder der Angst an einer körperlichen oder geistigen Störung zu leiden. Auch eine selbstbewusste Person wird sich unterwerfen und falsch antworten, weil sie vielleicht eine Sehschwäche oder eine geistige Beschränkung zu erkennen glaubt, die keinesfalls öffentlich werden darf. Aber eine selbstbewusste und richtige Antwort beherbergt in solchen Fällen immer das größere Risiko: Die Offenlegung geistiger Unzurechnungsfähigkeit. Kein Wunder also, dass sich auch sehr selbstbewusste und aufgeklärte Menschen schlussendlich den Mehrheiten anschließen und somit auch immer den Zeichen der Massenkommunikation gehorchen.
Verwendete Quellen für diesen Beitrag:
Watzlawick, Paul (2012): Wie wirklich ist die Wirklichkeit. 11. Auflage. München; Zürich: Piper.