Auch wenn das neue Jahr 2015 noch sehr jung ist, birgt es bereits jetzt für die meisten von uns sehr viele Herausforderungen, die zu bewältigen sind. Beruflicher Aufstieg, soziale Anerkennung, Hebung des eigenen Lebensstandards und natürlich die eigene Gesundheit gelten als allgemeine Wunsch- und Zielvorstellungen, mit denen sich der Mensch in einer westlich zivilisierten Welt konfrontiert sieht. Eigentlich ganz schön stressig und trotzdem bemühen wir uns permanent, die eigene Karriere erfolgreich voranzutreiben. Wer sich beruflich verändern möchte und nach einer neuen Arbeitsstelle Ausschau hält, der muss sich auf dem Arbeitsmarkt bewerben.
Das Verfassen eines Bewerbungsschreibens stellt in der Regel den ersten Schritt dar, um sich anschließend – wenn man etwas Glück hat – von einem neugierigen Personalmanager bis auf Leib und Seele ausfragen zu lassen. Wenn man dann nochmals etwas Glück hat, gelangt Mensch schließlich in die engere Auswahl und erhält den Job, für den man sich beworben hat.
Eigentlich ein recht langer und mühsamer Weg, den wir uns dabei aufbürden und dabei gleichzeitig auf Konventionen verlassen, die in der Welt des Personalmanagement als eindeutig identifizierbare Zeichen festgeschrieben sind.
Festgeschriebene Zeichen im Bewerbungsschreiben
Ich bin der Meinung, dass ein gutes Bewerbungsschreiben mit einem dramaturgischen Text verglichen werden kann. Auch das Bewerbungsschreiben besteht aus Form und Inhalt. Dabei unterliegt die Form festgeschriebenen Konventionen in der Welt des Personalmanagements. In der Form befinden sich die ersten Zeichen, die von Personalscouts als Botschaften interpretiert werden. Kaffeeflecken auf den Bewerbungspapieren könnten beispielsweise folgende Botschaften des Bewerbers vermitteln: „Sieht zwar nicht schön aus, aber so ein Fleck wird schon nicht ausschlaggebend für den Job sein.“ Oder: „Mist, Fleck entdeckt, aber extra neu ausdrucken werde ich die Bewerbung jetzt auch nicht mehr.“ Vielleicht hat der Bewerber die Flecken aber auch selbst gar nicht gesehen. Egal, für den Personalagenten steht in jedem Fall bereits fest, dass er es mit einem Bewerber zu tun hat, der entweder an Sehschwäche leidet, nicht sehr ordnungsliebend ist oder einfach nur zu dumm ist, um zu erkennen, dass Bewerbungspapiere in ihrer äußeren Form sauber sein sollten. Das ist der Code: Saubere und vollständige Bewerbungspapiere bedeuten die Voraussetzung, die Korrespondenz eines ordentlichen und zuverlässigen Menschen vor sich liegen zu haben. Die Bewerbung kann inhaltlich noch so gelungen sein, wenn die Form versagt, hat man meist schon sämtliche Jobchancen verspielt.
An diesem kleinen Beispiel erkennen wir, wie voreingenommen wir in Wahrheit sind und wie stark die Zeichen unsere Eindrucksbildung beherrschen. Ich habe in diesem Blog schon über die Zeichen und ihre Eigenschaft als Täuscher geschrieben. Solche Täuschungen können fatale Entscheidungen im Personalmanagement hervorrufen.
Täuschende Zeichen in der Form des Bewerbungsschreibens
Andere Zeichen, die sich in Form von Bewerbungsschreiben finden lassen, befinden sich in der Orthographie und der Grammatik eines Textes. Ein Text voller Rechtschreibfehler sendet Zeichen an seine Leser. Wiederum gibt es mehrere Möglichkeiten, diese Zeichen zu interpretieren, sie werden aber auf alle Fälle ein negatives Licht auf den Absender der Botschaft werfen. Entweder wird ein ungebildeter Mensch identifiziert, der keinen fehlerfreien Satz schreiben kann oder der Personalmanager interpretiert ein grob fahrlässiges Verhalten, weil der Bewerber seine eigene Schwäche ignoriert hat und den Text nicht vor Absendung überprüfen ließ. Wie auch immer, die Auswirkungen formaler Störungen werden vom Leser negiert, weil er sich selbst im Gefängnis der festgeschriebenen Codes befindet. Und weil es diese Codes, die Konventionen zu sämtlichen Formalitäten von Bewerbungsunterlagen gibt, die zudem zahlreich im Internet nachlesbar sind, werden Abweichungen nicht entschuldigt.
Wenn wir genauer darüber nachdenken, ist das eigentlich paradox. Der Personalscout erwartet die Einhaltung sämtlicher Bewerbungskonventionen und erhofft trotzdem ein Stück von der Persönlichkeit des Bewerbers zu erfahren. Aber was kann man durch formal makellose Bewerbungsunterlagen schon großartig über den Bewerber selbst erfahren? Dass er bezüglich Textgestaltung jeden Literaturwissenschaftler oder Lektor übertrifft? Oder dass er ein „Schwindler“ ist, der einen Ghostwriter hat und in Wahrheit selbst keine drei Worte fehlerfrei formulieren kann.
Tatsächlich sind die formalen Zeichen hierbei trügerisch und offenbaren lediglich Bedeutungen, die wir den Zeichen zuschreiben. Ein Maurer beispielsweise, der sich für eine neue Stelle bewirbt, kann in Wahrheit ein großartiger Handwerker sein und besitzt dennoch nicht die Qualifikationen eines Germanisten. Und dass muss er ja auch nicht. Der Regelverstoß und damit formal negativ konnotierte Zeichen entblößen immer mehrere Möglichkeiten, ein Stück Persönlichkeit des Bewerbers zu identifizieren.
Aber die regelkonforme Bewerbung ist in formaler Hinsicht immer eine Täuschung, die uns weder über Qualifikationen, noch über die Persönlichkeit eines Bewerbers Auskunft geben kann. Bitte verstehen Sie mich nicht falsch. – Ich möchte keinesfalls dazu aufrufen möglichst fehlerhafte oder schlampige Bewerbungsunterlagen zu produzieren. Es gilt lediglich festzuhalten, dass sich die Welt des Personalrecruiting in einem selbstgebauten Zeichengefängnis befindet, aus dem es sich manchmal auszubrechen lohnt.
Und der Bewerber? Was soll er tun? Ich rate an die Formalitäten und die festgeschriebenen Zeichen von Bewerbungsunterlagen festzuhalten. Es handelt sich hierbei um Konventionen, deren Bruch weder für Bewerber noch für Personalmanager von Vorteil sein kann. Und das ist auch überhaupt nicht nötig, denn das wahre Potential und die Dramaturgie einer Bewerbung liegt nicht in ihrer Form, sondern in ihrem Inhalt. Und der Inhalt und die Dramaturgie eines Bewerbungsschreibens ist auch das Thema meines nächsten Beitrages.