Hollywood als Lebensmodell: „Warum Aristoteles ewig leben wird“

Was ist Dramaturgie?

Das Wort Dramaturgie stammt aus dem Griechischen und bedeutet „Handlung“. Im Theaterlexikon steht außerdem, dass die Dramaturgie die Bauform oder die Struktur eines dramatisierten Handlungsspiels darstellt und zugleich ein Plan ist, um ein Schauspiel praktisch zu realisieren. Wer sich für Dramaturgie interessiert, wird früher oder später auf alle Fälle auf eine wichtige Persönlichkeit stoßen: „Aristoteles.“

Wer bitte war Aristoteles?

Ich könnte mir gut vorstellen, dass wir Aristoteles als Figur in vielen verschiedenen Filmen wiedererkennen würden. Einer, der in allen Situationen einen coolen Spruch auf Lager hatte und stets bemüht war, mit seiner Kritikfähigkeit und scharfem Sachverstand die Lehrer zu nerven. Die Lehrerfigur wäre in diesem Fall dann wohl Platon gewesen. Während Platon nach Vollkommenheit suchte, war Aristoteles der entspannte Typ, der mit Beobachtungen und Erfahrungen arbeitete. Für ihn galten die Dichtung und die Beredsamkeit (damals vielleicht auch einfach nur sämtliche Kommunikationsformen) als Handwerk, das unter der Einhaltung bestimmter Regeln erlernbar war. In diesem Zusammenhang beschreibt uns Aristoteles die Dichtung auch als Nachahmung von Wirklichkeit. Die Mimesis (Nachahmung) soll zwar ein Begriff seines Lehrers Platon gewesen sein, es ist jedoch offensichtlich, dass Aristoteles die Nachahmung von Wirklichkeit als handwerkliches Geschick in seine Schriften übernommen hat.

Nachahmung von Wirklichkeit als Erzählkonzept

Aristoteles beschreibt die Nachahmung von Wirklichkeit als Konzept einer gelungenen Tragödie mit einer in sich geschlossenen Handlung, die einen erkennbaren Anfang, eine Mitte und einen eindeutigen Schluss als Bestandteile aufweist. Nun, das kommt uns doch schon sehr bekannt vor. Ich kenne heute kaum einen Hollywoodblockbuster, der diese Struktur nicht beinhaltet. In diesem Zusammenhang ist für mich auch interessant, dass Aristoteles größeren Wert auf den Mythos, also die Story, als auf die Figuren, die Charaktere, legte. Er begründet diesen Vorzug darin, indem er die Nachahmung von Handlung als Ursache für die Nachahmung der Handelnden erklärt. Klingt eigentlich recht logisch und mir scheint, dass viele Hollywoodproduzenten diese Meinung teilen. Besonders in den schnellen und actiongeladenen Filmen erkennen wir sehr oft, dass die Figuren nur wenig Tiefe besitzen und im Schatten explosiver Handlungen verharren. Trotzdem sind Figuren natürlich wichtiger Bestandteile einer Story.

Die Wiedererkennung (Peripethie)

Wenn wir uns dem Zerstreuungskino Hollywoods ausliefern, (ich gehöre auch dazu), wollen wir vor allem sympathische Figuren erleben. (Helden!) Wir müssen die Typen einfach mögen, um mit ihnen durch die Story zu folgen. Eine Figur, die es nicht verdient ihr Ziel zu erreichen, gilt mit den Worten von Aristoteles auch heute noch als „abscheulich“. Wiedererkennung bedeutet den Umschlag von Unkenntnis in Kenntnis mit Folgen. Freunde werden zu Feinden, Glück entwickelt sich zum Unglück oder umgekehrt. Auf alle Fälle steht diese Wende immer im Zusammenhang mit den Beteiligten, also mit den Figuren. Dazu listet Aristoteles Regeln auf, von denen ich zwei zitiere und an die sich auch das heutige Kassenschlagerkino sehr oft hält:

  • Man darf nicht zeigen, wie der Held zum Schluss ins Unglück fällt.

Interessant, dass sich zum Beispiel Star Wars mit der Figur Darth Vader nicht an diese Regel hält.

  • Man darf auch nicht zeigen, wie ein Schurke zum Schluss Glück erfährt.

Darüber ärgern wir uns auch heute noch. Wer sieht schon gerne den unsympathischen Antagonisten über den sympathischen Protagonisten triumphieren?

Über Schaudern und Jammern

Ein wichtiger Pfeiler im Grundkonzept von Aristoteles fehlt noch. Wir bezeichnen ihn heute als Spannung. Aristoteles sagt in seiner Poetik, „dass die Nachahmung nicht nur eine in sich geschlossene Handlung zum Gegenstand hat, sondern auch Schaudererregendes und Jammervolles. Diese Wirkungen kommen vor allem dann zustande, wenn die Ereignisse wider Erwarten eintreten und gleichwohl folgerichtig auseinander hervorgehen.“

Hier erkennen wir die Konstruktion von Dramaturgie. Spannung tritt dann ein, wenn wir Überraschungen erleben mit denen wir nicht gerechnet haben. Wen wir nicht um das Wohl unserer geliebten Figuren bangen können, werden wir uns langweilen und noch im dunklen Kino den Ausgang suchen. Es muss daher Gegenkräfte in der Story geben, die eine echte Konkurrenz für die Protagonisten darstellen, sich selbst jedoch aufgrund der Dramaturgie begründen. Wir wollen Konflikte erleben, die nicht an den Haaren herbeigezogen erscheinen.

Leider ist uns die Poetik nicht vollständig erhalten geblieben. Was wir mit den Zeilen von Aristoteles in unseren Händen halten lässt sich aber bis heute als Regelwerk für die Produktionsweise unzähliger Filme, wohlgemerkt nicht nur Hollywoodfilme, identifizieren. Deshalb wird auch die Dramaturgie nach Aristoteles ewig leben. Zweifellos handelt es sich bei der Poetik um ein jahrtausende altes Regelwerk, das bis heute als erfolgreichstes Modell angewandter Dramaturgie gilt. Ich werde mich deshalb noch öfter auf sie berufen, ganz im Gegensatz vieler mittlerweile weltberühmter „Drehbuchgurus“. – Ihnen und der Produktionsweise von Hollywoodfilmen widmet sich mein nächster Beitrag.

 

Verwendete Quellen für diesen Beitrag:

Aristoteles; Fuhrmann, Manfred (2006): Poetik. Griechisch – deutsch. Stuttgart: Reclam.

BRAUNECK, Manfred; Schneilin, Gérard (2007): Theaterlexikon 1. Begriffe und Epochen,

Bühnen und Ensembles 5. vollständig überarbeitete Neuausgabe. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt.